Brinkmann, Frank ThomasSass, MarcellPolke, ChristianSchmuck, MartinMartinSchmuck2025-03-172025-03-172025https://jlupub.ub.uni-giessen.de/handle/jlupub/20325https://doi.org/10.22029/jlupub-19676In dieser Arbeit geht es um die religionspädagogische Rehabilitierung des Konzepts einer rationalen Interpretation von Erzählungen, wozu insbesondere die Frage nach dem Gegenstand von Erzählungen gehört. Ausgangspunkt ist die sprachphilosophische bzw. semiotische (Peirce) These, dass jede Darstellungsform einen Gegenstandsbezug hat und in einem umfassenden Interpretationszusammenhang steht, so dass jede Darstellung prinzipiell für die ontologische Bestimmung seines Gegenstands offen ist. Damit erweist sich die für die aktuelle Religionspädagogik prägende Philosophie des (Sozial-) Konstruktivismus in wesentlichen Punkten als unvollständig. An vielen Beispielen aus der Theorie und Praxis der Religionspädagogik (inklusive kulturhermeneutischer Spielarten) werden (in Kapitel 1) die Folgen einer Vernachlässigung des Projekts einer rationalen bzw. ontologischen Interpretation von Erzählungen aufgezeigt: Diese bestehen sowohl in einer unreflektierten Ontologisierung narrativer Motive, als auch in einer unhinterfragten Interpretation vor dem Hintergrund der theologisch dominierenden Metaphysik des unerkennbaren Absoluten. Die aus der richtigen Einsicht in den existenziellen Charakter der Narrationen vorgetragene theologische Abweisung der ontologischen Frage (Nichtverobjektivierbarkeitsdoktrin) kann demnach als Ursache dessen angesehen werden, dass mit Narrationen metaphysische Gehalte transportiert werden oder gar der metaphysische Satz zum vermeintlichen Anker der narrativ vermittelten Sinnerfahrung wird. Das kulturhermeneutisch motivierte demonstrative ‚Offenlassen‘ der hermeneutischen und insbesondere ontologischen Frage erweist sich von daher als inkonsistent und undurchführbar. Das Projekt einer rationalen Hermeneutik und narrativen Ontologie lässt sich nur realisieren, wenn insbesondere der Universalität kritischer Rationalität und der rationalen Interpretierbarkeit des Narrativen Rechnung getragen wird. Die kulturphilosophischen Ansätze von Koschorke und Lyotard können als Musterbeispiel dafür gelten, wie demgegenüber poststrukturalistisches bzw. postmodernes Denken das Narrative zum unhintergehbaren Verstehenshorizont von Kultur überhaupt hypostasiert und kritische Rationalität samt der ontologischen Frage durch deren Beschränkung auf isolierte kulturelle Provinzen (etwa der Einzelwissenschaften) epistemisch depotenziert. Entsprechend nimmt in dieser Arbeit (in den Kapiteln 2 und 3) die kritische Auseinandersetzung mit den genannten Konzepten einen breiten Raum ein. Es soll gezeigt werden, dass der vordergründige Pluralismus der erwähnten Ansätze auf philosophischen Letztbegründungsintentionen aufruht, die auch ontologische Implikationen im Sinne einer Metaphysik des unerkennbaren Absoluten, des Unbestimmten (Koschorke) bzw. Undarstellbaren (Lyotard) haben. Demgegenüber wird der Versuch gemacht, die Idee universaler Rationalität zu plausibilisieren, welche durchaus auch in der Lage ist, eine sachgemäße (systematische) Verhältnisbestimmung der pluralen Diskurse bzw. Darstellungsformen vorzunehmen. Im Unterschied zu den genannten Ansätzen von Koschorke und Lyotard bietet die Sozialphilosophie von Luckmann einer rationalen Hermeneutik und narrativen Ontologie deutlich mehr Anknüpfungspunkte, weil Luckmann mit einem universellen Begriff humaner Erfahrung operiert, der ihm als hermeneutischer Schlüssel narrativer Darstellungen dient. Ungeachtet der Kritik an der phänomenologischen Letztbegründungsintention und dem sozialkonstruktivistischen Relativismus von Luckmann bleibt als Ertrag der Auseinandersetzung (in Kapitel 4) festzuhalten, dass sich eine rationale Hermeneutik und narrative Ontologie als Theorie der Erfahrung aufstellen muss. In der Entfaltung der religionspädagogischen Schlussfolgerungen (Kapitel 5) sind Luckmanns Ansätze zu einer narrativen Theorie der Erfahrung jedoch von empirischen Befunden (realwissenschaftlicher) Anthropologie her zu reformulieren, was insbesondere für seine Theorie der Erfahrungstranszendenzen gilt. Eine empirische Erfahrungstheorie bleibt aber ontologisch abgängig von den Realwissenschaften, d.h. die Bestimmung der Gegenstände der narrativen Theorie der Erfahrung (die zugleich Gegenstände der Erzählungen sind) muss im Horizont des Wirklichkeitsverständnisses des aktuellen (realwissenschaftlichen) Weltwissens erfolgen. Somit erweist sich die Bestimmung des Weltwissens für eine rationale Hermeneutik narrativ vermittelter Erfahrung als religionspädagogisch grundlegend. Statt etwa wie einst (vom Hessischen Kultusministerium) gefordert die Schöpfungsgeschichte im Biologieunterricht zu thematisieren, wäre es demnach religionspädagogisch eher geboten, die Evolutionstheorie als den ontologischen Rahmen zu setzen, innerhalb dessen die Schöpfungserzählungen zu interpretieren sind. Zur Bestimmung ‚großer Transzendenzen‘ (Luckmann) ist aus Sicht der vorliegenden Arbeit ein realwissenschaftlicher Begriff des Ganzen bewusst zu machen, der sowohl auf die Summe aller Teile als auch die grundlegende Einheit des (physikalischen) Grundzustands der Welt zielt. Dass sich Religionspädagogik auf diese Weise bei der Interpretation der für sie maßgebenden Erzählungen (seien sie tradiert-religiöser oder populär-kultureller Provenienz) im Rahmen des (naturalistischen) Wirklichkeitsverständnisses der Realwissenschaften halten würde, scheint sachlich und vor allem auch pädagogisch (im Kontext des allgemein-schulischen Bildungsauftrags) angemessener zu sein als weiterhin den ‚anonymen Göttern der nachhegelschen Metaphysik‘ (Habermas) zu folgen, die wie gezeigt auch für die poststrukturalistischen bzw. postmodernen Kulturphilosophien von Koschorke und Lyotard noch bestimmend sind. Auf diese Weise könnte die Theologie das alte Versprechen des jungen Schleiermacher endlich einlösen, auf metaphysische Überbietungsansprüche zu verzichten und konsequent die existenzielle Bedeutung ihrer Erzählungen zur Geltung zu bringen. In dieser Arbeit wird daher der Vorschlag gemacht, Theologie vor allem in religionspädagogischer Hinsicht als eine Theorie grundlegender, narrativ vermittelter existenzieller Wertorientierungen zu verstehen. Solche Wertorientierungen sind demnach einerseits – da existenziell – immer narrativ vermittelt; andererseits lassen sie sich vergleichend kritisch reflektieren – insbesondere im Hinblick auf die unterschiedlichen Reichweiten bzw. Horizonte der jeweiligen Wertorientierungen. Abschließend werden die Konsequenzen dieser Sichtweise für die zur Zeit einflussreichsten religionspädagogischen Ansätze eruiert, wobei davon ausgegangen wird, dass dazu neben dem performativen Ansatz und der Kinder- bzw. Jugendtheologie nach wie vor auch die Konzeption des problemorientierten Religionsunterrichts gehört. Der Entwurf einer rationalen Hermeneutik und narrativen Ontologie scheint geeignet, die Stärken der drei genannten Ansätze zu einer einheitlichen Konzeption zu bündeln.deAttribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 InternationalErzählungNarrationWirklichkeitOntologieLebensdeutungReligionsunterrichtKulturphilosophieKoschorkeLyotardLuckmannGottPostmoderneKulturphilosophieRealismusAntirealismusSozialkonstruktivismusPoststrukturalismusKritischer RationalismusSinndeutungReligiositätReligionstheorieddc:230ddc:100ddc:200ddc:370Der Wirklichkeitsbezug von Erzählungen. Über naturalistische Ontologie und narrative Lebensdeutung im Religionsunterricht – eine Kritik kulturphilosophischer Ansätze