Ahrens, JörnLangenohl, AndreasAutschbach, Marcel DominiqueMarcel DominiqueAutschbach2024-09-122024-09-122024-09-07https://jlupub.ub.uni-giessen.de/handle/jlupub/19426https://doi.org/10.22029/jlupub-18785In dieser Dissertation knüpfe ich an Ludwig Wittgensteins Verständnis von Sprache als selbstreferentieller sozialer Praxis an und argumentiere, dass sich die Bedeutung des Wortes „Stress“ durch seine Verwendung in der Ratgeberliteratur entfaltet. Dazu analysiere ich zweiundzwanzig Lebensratgeber zu Stress und verorte sie – da Sprache stets im Kontext anderer Praktiken steht – reflexiv in den Ergebnissen aus teilnehmenden Beobachtungen von einundzwanzig Einzelsitzungen von Stressmanagementkursen in Hessen. Ich zeige auf, wie Ratgeberschreibende Stressdiagnosen und Bewältigungsstrategien miteinander verweben, um jene Wissensformen herauszustellen, auf die sich gegenwärtige Selbsttechniken beziehen. Die heutige Verwendung des Stressbegriffs in Lebensratgebern bezieht sich auf die seit Mitte des 20. Jahrhunderts entstandene Stressforschung. Der Gebrauch des Wortes verband hierbei verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, wurde jedoch jeweils disziplinspezifisch ausgeformt. In aktuellen Ratgebern finden sich daher einerseits unterschiedliche Beschreibungen von und Interventionen gegen Stress, andererseits wird Stress als kohärentes Set von Aussagen behandelt. Zudem beziehen sich die Ratgeberschreibenden auf als „traditionell“ verortetes Wissen und ordnen die rigide Theoriebildung einer situativen Anwendung nach. Auf diese Weise gelingt es ihnen, sowohl die Vorstellung einer einheitlichen Stresstheorie, die auf eine intern transparente und einheitliche Wissenschaft im Singular zurückgeht, aufrechtzuerhalten als auch widersprüchliche Positionen zu Körper, Wahrnehmung, Emotionen und soziale Beziehungen zu verbinden. Vier miteinander verzahnte Elemente ermöglichen es den Ratgeberschreibenden, Stressdiagnosen und -bewältigungsformen zu verweben. Erstens beschreiben sie verschiedene körperliche Prozesse als Stress und bieten Techniken an, um kleinste körperliche Warnsignale zu erkennen sowie den Körper zu „ entstressen”. Zweitens greifen sie auf unterschiedliche Energietheorien wie Muskelkraft oder Qi zurück und problematisieren so die schleichende Erschöpfung im beruflichen und privaten Alltag und integrieren Methoden zur Kanalisierung von Energie. Drittens beziehen sie sich auf Metaphern visueller Wahrnehmung und können hierdurch voreilige Urteile und subjektive Bewertungen kritisieren und Trainings der Beobachtungsfähigkeit empfehlen. Viertens verorten sie Stress in Situationen und schlagen Wege vor, die sinnliche Wahrnehmung zu intensivieren und den Erfolg zu steigern. In der Ratgeberliteratur zu Stress wird das Selbst also nicht allumfassend verantwortlich gemacht, sondern zur anhaltenden Anpassung an immer neue Situationen aufgerufen.deAttribution 4.0 InternationalRatgeberliteraturWissenssoziologieStressddc:300Anhaltende Anpassung - Eine gebrauchstheoretische Wissenssoziologie der Ratgeberliteratur zu Stress