Latente Inhibition : ein lernpsychologisches Paradigma in der psychopathologischen Forschung

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2002

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Zusammenfassung

Latente Inhibition (LI) beschreibt eine Abschwächung des Assoziationslernens, wenn ein Reiz ohne jegliche Konsequenz mehrmalsdargeboten (präexponiert) wird, bevor er in einer Lernphase (Akquisition) als konditionierter Reiz (CS) mit einem unkonditionierten Reiz(US) gepaart wird. Dieses bei Tierexperimenten entdeckte Phänomen ließ sich auch im Humanbereich mit verschiedenen Methodenzuverlässig nachweisen. Meistens wurde es über eine Reduktion der dem präexponierten Reiz zugewandten Aufmerksamkeit erklärt(Lubow &

Gewirtz, 1995). Da die LI selektive Aufmerksamkeitsprozesse abbildet (Filterfunktion: Ausblenden irrelevanter Reize), wurde sieauch bei Schizophrenie-Patienten bestimmt, deren selektive Aufmerksamkeit wahrscheinlich aufgrund einer Hyperfunktion des zentralendopaminergen Transmittersystems gestört ist (Duncan et al., 1999). Ausgehend vom Zusammenhang zwischen selektiver Aufmerksamkeitund Dopamin-System, hatte die vorliegenden Arbeit zum Ziel, die LI bei Personengruppen mit unterschiedlich ausgeprägter Störung desDopamin-Systems zu untersuchen, nämlich bei Schizophrenie-Patienten (Hyperfunktion), bei Patienten mit Morbus Parkinson(Dopamin-Mangel) und - einem dimensionalen Psychosemodell folgend - bei gesunden Personen mit hohen Ausprägungen desPersönlichkeitsmerkmals 'Schizotypie'. Hierfür wurde die Methode des differentiellen Klassischen Konditionierens autonomer Reaktionenin einem Versuchsplan mit Messwiederholung (d.h. mit abhängigen Gruppen) eingesetzt, der eine gute Kontrolle der unspezifischenVarianz zwischen den Probanden gewährleistet. Als CS dienten geometrische Figuren, als US eine Reaktionszeitaufgabe auf einen Tonhin. Mit diesem Versuchplan wurde die LI, widergespiegelt in reduzierter elektrodermaler Konditionierung und verlängerten Reaktionszeitenbei den präexponierten Reizen, zu zwei Messzeitpunkten bei 60 gesunden Probanden, 58 Schizophrenie-Patienten (akut vs. remittiert) und18 Parkinson-Patienten (ohne vs. mit Medikation mit L-Dopa) bestimmt.

Bei den gesunden Probanden konnten LI-Effekte zu beiden Messzeitpunkten nachgewiesen werden, doch ergaben sich Unterschiedezwischen den abhängigen Variablen. In den Reaktionszeiten zeigte sich die LI deutlich, zumindest im ersten Abschnitt derAkquisitionsphase, während sie im elektrodermalen Maß eher schwach ausgeprägt war oder sich nur bei Probanden mit starkerReaktionszeit-LI zeigte. Entgegen den Befunden der Literatur hatte die Ausprägung des Persönlichkeitsmerkmals 'Schizotypie' bei dengesunden Probanden keinen Einfluss auf die LI.

Bei den Schizophrenie-Patienten trat erwartungsgemäß im akuten Zustand in den elektrodermalen Reaktionen keine LI auf, teilweisezeigten sich sogar entgegengesetzte Effekte, die für ein Defizit selektiver Aufmerksamkeit sprechen. Diese Ergebnisse werden jedochrelativiert durch das Auftreten von LI im Reaktionszeit-Maß bei den akuten Patienten und das Fehlen von LI im remittierten Zustand.Allerdings zeigte sich hier zumindest in der Untergruppe mit starker Reaktionszeit-LI auch ein elektrodermaler LI-Effekt.

In der Gruppe der Parkinson-Patienten ließen sich schließlich insgesamt weder im medizierten noch im unmedizierten Zustand LI-Effektebeobachten. Lediglich bei den Patientinnen trat zum ersten Messzeitpunkt zumindest im Reaktionszeit-Maß LI auf. Anders als bei denSchizophrenie-Patienten scheint den Befunden bei den Parkinson-Patienten eine unspezifische Beeinträchtigung zugrunde zu liegen. Sozeigten sie insgesamt von allen Gruppen die schwächsten elektrodermalen Reaktionen und Konditionierungseffekte sowie die längstenReaktionszeiten. Lediglich die unkonditionierten Reaktionen waren vorhanden.

Insgesamt erwies sich die Kontingenzerkennung als wichtige Variable: Die elektrodermale Konditionierung war stärker und dieReaktionszeiten waren kürzer bei den gesunden Probanden und Patienten, welche die Reizkontingenzen (Beziehung zwischen CS und US)nach dem Experiment korrekt wiedergeben konnten.

Ausgehend von dem Zusammenhang zwischen Kontingenzerkennung und elektrodermaler Konditionierung sollte in einer zweiten Studieüber eine Reduktion der Komplexität der Reizanordnung die Stärke der Konditionierungs- und LI-Effekte erhöht werden. Hierzu wurde derVersuchsaufbau der ersten Studie insofern geändert, als der Faktor Präexposition jetzt über unabhängige Gruppen realisiert war: Bei einerGruppe von gesunden Probanden (n=54) wurde der spätere CS präexponiert, während die übrigen Probanden andere Reize (farbigeBildschirme) sahen (n=53). Trotz deutlich gesteigerter Kontingenzerkennungs-Rate und starken elektrodermalen Konditionierungseffektentraten in der zweiten Studie keine LI-Effekte auf, wahrscheinlich aufgrund der fehlenden Aufmerksamkeitsablenkung von denpräexponierten Reizen (Maskierung).

In einer dritten Studie wurden daher die CS (farbige Rahmen statt Figuren) in der Präexpositionsphase dadurch maskiert, dass sich in ihrerMitte Bilder von Landschaften, Tieren und Menschen befanden, wobei die Probanden (n=25) die Anzahl der Bilder mit Menschen zählensollten. Mit dem so modifizierten Versuchsplan, der die gleiche Struktur aufwies wie in der ersten Studie (abhängige Gruppen), ließen sichsowohl in den elektrodermalen Reaktionen als auch im Reaktionszeit-Maß deutliche LI-Effekte nachweisen, die sich allerdings auf denersten Abschnitt der Akquisitionsphase beschränkten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Annahme eines globalen Defizits selektiver Aufmerksamkeit bei Schizophrenie-Patientensicher zu unpräzise ist. Je nach Wahl der Indikatorvariablen kann die LI normal (Reaktionszeiten) oder verändert sein (elektrodermaleReaktionen). Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass die LI-Effekte zumindest beim Klassischen Konditionieren und bei dervisuellen Suche (Lubow &

Kaplan, 1997) im Zeitverlauf abnehmen. Schließlich sind bei der Methode des Klassischen Konditionierens fürdas Auftreten von deutlichen Konditionierungs- und LI-Effekten zwei Faktoren von entscheidender Bedeutung: Es muss ein bestimmtesAusmaß an Kontingenzerkennung gegeben sein, und es sollte eine Maskierung der präexponierten Reize erfolgen.

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