Antitotalitäre Traditionen im Kulturvergleich : Ein deutsch-französischer Intellektuellenstreit

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1999

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Im Zentrum meiner Arbeit steht die in den letzten 50 Jahren stattgefundene Auseinandersetzung französischer und deutscher Intellektueller mit denTotalitarismen dieses Jahrhunderts. Welche Folgen zeitigt diese für die politische Diskurskultur beider Länder, ihre Europabilder und ihr Verhältnis zuOsteuropa heute? Die vergleichende Rekonstruktion der französischen und deutschen Debatten erlaubt es, der Entstehung bestimmter, immer wiederkehrenderDenkfiguren auf die Spur zu kommen: 'Antifaschismus', 'Antikapitalismus' und 'Antikommunismus' bzw. 'Anti-Antikommunismus' sind derartige Denkmuster, diebis heute der Identitätsstiftung intellektueller Milieus in Frankreich und Deutschland dienen und politische Lagerbildungen forcieren. In Frankreich undDeutschland sind die intellektuellen Debatten um den Totalitarismus nahezu spiegelverkehrt verlaufen. Aus der anfänglichen positiven Faszination derfranzösischen Intellektuellen am 'linken' Totalitarismus in den fünfziger Jahren entwickelte sich über die Jahrzehnte ein Milieu und Denkraum, deren gemeinsamerBezugspunkt ein dezidiert antitotalitäres Selbstverständnis war. Die Anfangsjahre der Bundesrepublik waren im Gegensatz zu Frankreich von einemantitotalitären Konsens geprägt. Er kristallisiert sich geradezu paradigmatisch in der Eröffnungsveranstaltung des 1950 in Berlin gegründeten, später in Parisarbeitenden Kongresses für kulturelle Freiheit. Die Kongreßgründer zeichnete damals eine gleichermaßen antifaschistische wie antikommunistischeGrundhaltung aus - ein antitotalitärer Konsens, der die weitere Arbeit der Intellektuellen im Zusammenhang dieses Kongresses bestimmte. In Deutschland kannman in der Folgezeit das Aufbrechen dieses antitotalitären Konsens beobachten; die politisch-intellektuellen Lager konstituierten sich entlang der dichotomenDenkfiguren 'Antifaschismus' versus 'Antikommunismus'. Entlang der Analyse deutscher und französischer Debatten der letzten 50 Jahre stelle icheinschneidende politische Ereignisse der Realgeschichte und deren Rezeption auf seiten der Intellektuellen gegenüber. Ausgelöst wurden sie von gravierendenhistorischen Einschnitten, die allesamt auf die Krise und später das Ende des Kommunismus verweisen: die Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956;der Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts 1968 in Prag; der Polnische Sommer und die Verhängung des Kriegsrechts 1980/81; der Zusammenbruchdes Kommunismus 1989 und später der Krieg im ehemaligen Jugoslawien seit 1991. Die Auseinandersetzung mit diesen realhistorischen Brüchen hattemaßgebliche Folgen für die Selbstverortung der Intellektuellen, um die öffentlich gestritten wurde. Antitotalitäre Optionen, die den Nationalsozialismus, denFaschismus und den Kommunismus vergleichend in den Blick nehmen und fester Bestandteil der französischen Diskurkultur sind, waren in deutschen Debattenbis weit über das Jahr 1989 hinaus nahezu verpönt. Dies zeigte sich nicht nur im Historikerstreit 1986, sondern auch in der Debatte um das Schwarzbuch desKommunismus 1998. Sorgen in Frankreich Positionswechsel und Revisonen für eine lebendige Debattenkultur, so fürchtet man in Deutschland gleich um dieDemokratie, wenn sich politische Lager verwerfen. Ein offener, lebendiger Streit jenseits dieser Lager wäre nicht nur in Deutschland wünschenswert, sondernböte die Voraussetzung einer tatsächlich europäischen Öffentlichkeit jenseits nationaler Scheuklappen.

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