Ethophysiologische Untersuchungen zum Sozialverhalten beim Hausschwein am Beispiel von Mutter-Nachkommen-und sozialen Dominanzbeziehungen
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Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Entwicklung des Sozialverhaltens beim Hausschwein aus dem Blickwinkel ultimater und proximater Verhaltensmechanismen multidisziplinär zu betrachten. Es werden verhaltensbiologische Ansätze der Analyse von Mutter-Nachkommen-Beziehungen und von Dominanzbeziehungen in sozialen Gruppen nach dem Absetzen vorgestellt. Zugleich werden wichtige neuroendokrine und psychoimmunologische Konsequenzen im Kontext dieser beiden Bereiche sozialen Verhaltens präsentiert, die vor allem Wohlbefinden, Stressbewältigung und Gesundheit der Tiere betreffen. Aus den Ergebnissen werden zudem Implikationen für die praktische Tierhaltung gezogen. Die vorliegende Arbeit basiert auf insgesamt vierzehn publizierten Einzelstudien, die vollständig in der kumulativen Publikationsliste der Arbeit vorliegen.Die Analyse des Saugverhaltens zeigt, dass die Saug-Säugeinteraktion von Ferkel und Sau ein dynamisch ausbalanciertes System zwischen mütterlichem Investment und Ansprüchen der Nachkommen ist, das deutliche Auswirkungen auf die weitere soziale und physische Ontogenese der Ferkel hat. Es werden Möglichkeiten der mathematischen Modellierung von Saughäufigkeit und Saugstabilität vorgeschlagen, die erstens zeigen, dass die Mutter-Nachkommen-Interaktion beim Hausschwein mit ultimaten Erklärungsmustern des Absetzkonflikts beschreibbar ist, und die zweitens einen Ansatz für die verhaltensphysiologische Analyse bei künftigen Fragestellungen bieten. Mittels bioakustischer Lautanalysen und replay-Experimenten wird demonstriert, dass Ferkel sowohl ihre Mütter anhand individueller akustischer Merkmale im Säugegrunzen erkennen können, als auch die inter-individuelle Bedeutung dieses Lautes erfassen. Die Untersuchungen dieser Arbeit zeigen weiterhin, dass die wiederholte soziale Isolation einzelner Ferkel, d.h. deren Trennung von Sau und Wurfgeschwistern, ein geeignetes Deprivationsmodell für sozial lebende Säugetiere, aber auch für den Menschen ist, um gezielt Störungen der Mutter-Nachkommen-Beziehungen in ihren Auswirkungen auf Krankheits- und Stressbewältigung zu untersuchen.Das Absetzen und Neugruppieren der Ferkel ist verbunden mit einer sozialen Reorganisation von der territorialen Saugordnung hin zu einer sozialhierarchischen Dominanzstruktur, die mittels des Auftretens und des Auganges agonistischer Interaktionen analysiert werden kann. Die soziale Erkennung der Tiere wird durch den Bekanntheitsgrad, nicht aber durch ihre Verwandtschaft bestimmt. Sowohl die Bekanntheit mit der sozialen Umwelt, aber insbesondere auch die mit der Haltungsumwelt beeinflussen hierbei spezifisch das agonistische Verhalten und die Stressantwort der Tiere. Ausgehend von einer strukturellen Dominanzdefinition wird in der Arbeit eine einheitliche und vergleichende methodische Vorgehensweise vorgeschlagen, soziale Dominanzbeziehungen mittels einer Reihe soziometrischer Kennwerte auf Ebene der Dyade, der Gruppe und des Einzeltieres zu analysieren. Weiterhin wird gezeigt, dass die Immunfunktion einander unbekannter, neu gruppierter Schweine durch sozialen Stress beeinflusst wird. Für die dominanten Tiere führt der zunehmende Erfolg in den und die Kontrolle über die agonistischen Interaktionen zu einer verbesserten Immunreaktivität, während subdominante Tiere in der Folge mit einer Immunsuppression reagieren, die eine potentielle Beeinträchtigung von Gesundheit und Wohlbefinden darstellt. Mittels spezifischer sozialer Konfrontationstests ( Resident-Intruder-Experimente ) wird demonstriert, dass sowohl der jeweilige Bekanntheitsgrad der Gruppe als auch die vorhergehenden sozialen Erfahrungen (z.B. der soziale Rangstatus) einen variierenden Einfluss auf Verhalten und endokrine Stressantwort der in diese Gruppen integrierten Tiere haben. Die Möglichkeit, soziale Erfahrungen in entsprechenden Phasen der Ontogenese zu erwerben, ist deshalb essentielle Kompenente einer tiergerechten Haltung und gleichzeitig wichtige Voraussetzung für die spätere Stressbewältigung.Es lässt sich insgesamt schlussfolgern, dass eine Verbesserung der Kenntnisse sozialphysiologischer Anpassungsmechanismen beim Hausschwein sowie entsprechende praktische Umsetzungen ultimater und proximater Verhaltensprinzipien dazu beitragen können, die Diskrepanzen zwischen sozialen Erwartungen der Tiere und realer Haltungsumwelt zu minimieren und auf diesem Wege Verbesserungen im Sinne der Tiere zu erreichen.
The aim of the present work is to examine interdisciplinary the development of social behaviour caused by ultimate and proximate factors in domestic pigs. Behavioural approaches of analysing mother offspring relationships and dominance relationships within social groups after weaning are discussed. Moreover, important neuroendocrine and psychoimmunological consequences for both types of social behaviour are presented in relation to animal welfare, coping with stress and health. In addition, implications for animal husbandry are concluded from the results. The present work is based on 14 published studies which are completely given in the cumulative list of publications. The analysis of suckling behaviour shows that the nursing suckling interaction of a sow and their piglets is a dynamically balanced system between maternal investment and the requirements of the offspring. It has considerable consequences for the further social and physical ontogeny of piglets. Mathematical modelling approaches of suckling frequency and suckling stability are suggested which, firstly, show that the mother offspring relationship in domestic pigs can be described by ultimate causes of behaviour and, secondly, offer a methodological approach for behavioural and physiological studies in the future. By applying bioacoustical analysis of nursing vocalisation and corresponding replay experiments it is demonstrated that piglets are able to both recognise their mothers voice on the basis of individual call features and comprehend the inter-individual meaning of this vocalisation. Furthermore, a repeated social isolation of piglets, i.e. the social separation from mother and littermates, is a useful model of deprivation not only for socially living mammals, but also for humans to investigate specific disturbances in the mother-offspring relationships and possible consequences for coping with stress and sickness. Weaning and mixing of piglets leads to a social reorganisation from the territorial suckling order towards a hierarchical dominance structure which can be determined by the outcome of agonistic interactions. The social recognition of animals is caused by familiarity rather than by relatedness. Familiarity with both the social environment and especially the housing environment affects the agonistic behaviour and the stress response of piglets. Based on a structural definition of dominance a standardised and comparative approach is suggested to analyse dominance relationships by sociometric methods at dyadic level, group level and individual level. Furthermore, the present work shows that social stress also affects the immune function of unfamiliar pigs in newly mixed groups. While dominant pigs react with an enhanced immune function caused by increasing success in and better control of the agonistic interactions, subdominant pigs suffer from immune suppression which may result in impaired health and welfare. By using specific social confrontation tests (resident intruder experiments) it is demonstrated that behaviour and endocrine stress response of individuals to be integrated in a social group vary with their familiarity with the group as well as their previous social experience (e.g. social rank). Therefore, animal friendly husbandry should offer possibilities to acquire social experiences during ontogeny as an important skill for coping with stress.In conclusion, improving knowledge on behavioural and physiological mechanisms of social adaptation as well as an appropriate consideration of ultimate and proximate causes of behaviour in animal husbandry may contribute to diminish discrepancies between social expectations of the animals and real housing conditions. Thus, a substantial improvement of farm animal welfare can be achieved.