Repräsentative Markterhebung zur Verwendung von Jodsalz in handwerklich und industriell gefertigten Lebensmitteln
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Zusammenfassung
Jodmangel ist aus gesundheitspolitischer Sicht in Deutschland weiterhin ein Problem. Nach dem Deutschen Erwachsenen Gesundheitssurvey (DEGS) liegt bei 30 % der Erwachsenen die Jodzufuhr unter dem geschätzten Durchschnittsbedarf von 95 Mikrogramm pro Tag (JOHNER et al., 2016). Vor diesem Hintergrund ist die Datenlage zur Jodsalzverwendung in Lebensmitteln von erheblicher Bedeutung, um Möglichkeiten zur Erhöhung der Jodsalzverwendung erkennen und mit Instrumenten der Ernährungspolitik gegensteuern zu können. Dabei ist bekannt, dass die Verwendung von jodiertem Speisesalz in privaten Haushalten weit verbreitet ist. So liegt der Anteil von jodiertem und fluoridiertem Salz in Haushaltsgebinden seit Jahren zwischen 70 und 80 %, der Marktanteil des jodierten Haushaltssalzes bei 84 % (GROßKLAUS, 2017) und damit unter der Zielmarke der WHO von 90 % (SCRIBA et al., 2007). Der Großteil der Salzaufnahme der Bevölkerung beruht allerdings auf dem Verzehr von verarbeiteten Lebensmitteln und für diesen Bereich werden häufig nur Schätzungen genannt, wonach 30 % der verarbeiteten Lebensmittel Jodsalz enthalten (GROßKLAUS, 2017). Detaillierte Informationen über die Jodsalzverwendung in industriell und handwerklich verarbeiteten Lebensmitteln fehlten ebenso wie Untersuchungen, die sich den Gründen der Verwendung oder Nichtverwendung von Jodsalz in industriell und handwerklich verarbeiteten Lebensmitteln zuwenden. Dies war der Ausgangspunkt für die hier vorliegende Untersuchung. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens sollte die Verwendung von Jodsalz in handwerklich und in dustriell hergestellten Lebensmitteln auf dem deutschen Markt untersucht werden. Dies sollte vor allem über eine repräsentative Markterhebung erfolgen, um belastbare und differenzierte Primärdaten zu er halten. Zu diesem Zweck wurde eine umfangreiche statistische Markterhebung zur Jodsalzverwendung in den angebotenen Produkten des Lebensmitteleinzelhandels durchgeführt, die repräsentativ für die Jodsalzversorgung durch die drei wichtigen Produktgruppen sein sollte: Brot und Backwaren, Fleisch und Fleischwaren, sowie Milch und Milchprodukte. Aus einer gezielten und nach einer regionalen Schichtung ausgewählten Stichprobe wurden im März, April und Oktober 2017 in ausgewählten Lebensmittelmärkten der Städte Hannover, Dresden, Stuttgart und Düsseldorf eine Vollerhebung der industriell gefertigten Lebensmittel in diesen Warengruppen durchgeführt. Die erhobenen Daten der statistischen Markterhebung wurden mit Methoden der deskriptiven Statistik aufbereitet und mit Verfahren der induktiven Statistik ausgewertet. Logitmodelle wurden außerdem verwendet, um Unterschiede in der Jodsalzverwendung zwischen Warengruppen und zwischen Produkten innerhalb von Warengruppen auf ihre Bestimmungsfaktoren zurückzuführen. In einem zweiten Teil der Untersuchung wurden verschiedene Experteninterviews bei Industrieunter nehmen und handwerklichen Betrieben und Unternehmen, sowie Online-Befragungen bei Bäckereien und Fleischereien durchgeführt und ausgewertet, um die Verwendung von Jodsalz in den Unternehmen erfassen und die Jodsalzverwendung in handwerklich hergestellten Lebensmitteln erklären zu können. Da Handlungsmuster in Bäckereien und Fleischereien bei der Salzverwendung praktisch nicht erforscht sind, wurde in diesem Teilbereich mit qualitativen Methoden gearbeitet. So wurde im Gesamtprojekt ein Multiphasen-Mixed-Method-Ansatz mit der Kombination aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden angewandt, um möglichst umfassend empirische Befunde zur Jodsalzverwendung und Erklärungen für die Verwendung oder Nichtverwendung von Jodsalz herausarbeiten zu können. Die Untersuchungen zeigen zunächst, dass der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt schaft (BMEL) formulierte Grundsatz „Wenn Salz, dann Jodsalz!“ bei den untersuchten verarbeiteten Lebensmitteln und Betrieben nicht überall umgesetzt wird – weder bei industrieller noch bei handwerk licher Verarbeitung. In die statistische Markterhebung im Lebensmitteleinzelhandel gingen insgesamt 30.345 Produkte ein, bei denen in 68,3 % der Fälle Salz zugesetzt wurde. Bei den verarbeiteten Lebensmitteln, denen Salz zugesetzt wurde, enthielten insgesamt nur 28,5 % der Produkte Jodsalz. Der Anteil der Produkte, die mit Jodsalz verarbeitet wurden, lag dabei in der Warengruppe Fleisch mit 47 % am höchsten, gefolgt von der Warengruppe Brot mit 10 % und der Warengruppe Milch mit 2 %. Der Jodsalzanteil variiert demnach stark in Abhängigkeit von der Produktgruppe, aber auch in Abhängigkeit von Produktuntergruppen. So ist der Jodsalzanteil signifikant niedriger z.B. bei Brot und Brötchen gegenüber Gerichten auf Brotbasis. In den logistischen Regressionen zeigt sich, wenn Vertriebslinien un terschieden werden, dass verschiedene Anbieter im Lebensmitteleinzelhandel – auch aufgrund unterschiedlicher Produktsortimente – unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten der Jodsalzverwendung aufweisen. Die Möglichkeit, jodsalzhaltige Produkte der Warengruppen Brot und Fleisch zu finden, ist bei einem niedrigeren Grundpreis des Produkts höher, ebenso wie bei einem allgemein höheren Salzgehalt eines Produktes. Die Online-Befragung von Bäckereien und Fleischereien zeigte, dass 44 % der teilnehmenden Betriebe Jodsalz verwendeten, wobei der Anteil im Fleischerhandwerk (49 %) höher war als im Bäckerhandwerk (39 %) und zeigte auch eine in den letzten Jahren abnehmende Tendenz. Experteninterviews und die Online-Befragungen enthalten hier eine ganze Reihe von Gründen, die die vergleichsweise geringe und die tendenziell abnehmende Jodsalzverwendung bei verarbeiteten Lebensmitteln in Industrie und Handwerk erklären können. Generell wird von den Unternehmen keine starke öffentliche Diskussion zugunsten der Anreicherung von Lebensmitteln mit Jodsalz und deren Nutzen wahrgenommen. Es wird darauf verwiesen, dass Aufklärungskampagnen relativ lange zurückliegen und dass sich Handwerksbetriebe oftmals mehr mit Kritik der Jodsalzgegner als positiven Rückmeldungen der großen Zahl von jenen Verbrauchern konfrontiert sehen, die jodiertes Salz als das „normale und gesundheitsfördernde“ Salz wahrnehmen. Befragte der Bäckereien und Fleischereien wie auch von Industriebetrieben argumentie ren dann mehrfach, dass man das eigene Unternehmen nicht in der Verantwortung sieht, gesundheitspolitische Ziele durch die Jodsalzverwendung umzusetzen. Vorteile, mit Jodsalz zu werben, werden von den Unternehmen überwiegend nicht gesehen. Zu diesen Hemmnissen der Jodsalzverwendung passt auch, dass offenbar die Anreicherung der verarbeiteten Lebensmittel mit Jod kein Marketingargument wie z.B. die Eigenschaft Bio bei Biolebensmitteln darstellt. Eine zusätzliche Primärerhebung von Preis daten am Onlinemarkt für Speisesalz zeigte deutlich, dass es auch auf dem Speisesalzmarkt eine Reihe von Produktcharakteristika gibt, die zu Preisaufschlägen bei Speisesalz führen. Allerdings gehört die Anreicherung mit Jod nicht dazu. Bei keiner Variante der Anreicherung mit Jod wurde am Markt ein signifikant höherer Speisesalzpreis realisiert. Aus den Befragungen wird auch deutlich, dass bei Verarbeitern Jodsalz sehr unterschiedlich wahrge nommen wird und auch unvollkommene Information zum Mineralstoff Jod vorliegt. Die Verwendung oder Nichtverwendung von Jodsalz hängt sehr oft von unterschiedlichen Wahrnehmungen der Anrei cherung ab, wie z. B. die Cluster der Bäckereibetriebe im Hinblick auf die Jodsalzverwendung zeigen. Aus der Studie ergibt sich, dass vor dem Hintergrund der Empfehlungen zur Reduktion des Salzgehalts und der Hemmnisse zur Verwendung von Jodsalz in verarbeiteten Lebensmitteln Handlungsbedarf be steht. Soll der festgestellte Jodmangel in der Bevölkerung reduziert werden und der Grundsatz „Wenn Salz, dann Jodsalz“ in verarbeiteten Lebensmitteln umgesetzt werden, erscheinen Informationskampag nen zur Verbesserung des Images von Jodsalz bei Verbrauchern und vor allem auch bei Verarbeitern notwendig. Dies ist aus unserer Sicht eine staatliche Aufgabe. Ohne Informations- und Aufklärungs maßnahmen besteht die Gefahr, dass in Zukunft Verarbeiter nicht nur über den verminderten Salzgehalt in verarbeiteten Lebensmitteln auch weniger Jodsalz einsetzen, sondern auch über eine Verminderung des Jodsalzanteils. In der Forschung fehlen weitgehend Nutzen-Kosten-Analysen zu Alternativen der Förderung der Jodsalzverwendung. Dort wäre eine stärkere staatliche Regulierung von Mindestanteilen in verarbeiteten Lebensmitteln ebenso zu diskutieren wie Marktlösungen, die ggf. nach verstärkter Auf klärung den Verarbeitern sowohl Werbeargumente für Speisesalze „mit Jodsalz“ am Massenmarkt und auch „ohne Jodsalz“, wenn die Verwendung nicht erwünscht ist, bieten. Es war nicht die Aufgabe dieser Studie, die Verbraucherwahrnehmungen von Jodsalz zu untersuchen und die Wirkungen davon auf die Jodsalzverwendung. Verarbeiter haben keine einheitliche Position zum Verbraucherverhalten und die vorhandene Literatur bringt wenige Erkenntnisse hierzu. Auch an dieser Stelle besteht Analysebedarf, um die Gruppe der Verbraucher besser zu verstehen.