Möglichkeiten und Grenzen theaterpädagogischer Methoden in der Ernährungsberatung in Gruppen : "Ernährung und Körper, das ist immer auch mit Stress verbunden. Und Theater [...] nimmt dem ein bisschen den Stress und das Gemeine"

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2014

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Der aktuelle Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung macht erneutdeutlich, dass Übergewicht und Adipositas zentrale Gesundheitsprobleme in Deutschland sind (DGE 2012). Bundesweit sind 60% der Männer und 43% der Frauen übergewichtig, obwohl die Menschen noch nie so gut über Ernährung informiert waren wie heute. Übergewicht und Adipositas haben negative Folgen für das soziale Leben, die Lebensqualität und stehen im Zusammenhang mit Erkrankungen, wie Diabetes mellitus Typ II, Herz-Kreislauf-Krankheiten, und der Entstehung mancher Krebsarten. Die Ernährungsberatung steht vor der Schwierigkeit, ihre Ratsuchenden zu befähigen, die Diskrepanz zwischen dem Wissen über gesunde Ernährung und dem alltäglichen Ernährungshandeln zu üb erwinden. Häufig werden dazu in abstrakter und modellhafter Weise ernährungsphysiologische Erkenntnisse vermittelt und die gesundheitsgefähr¬denden Folgen über Statistiken aufgezeigt (MENZEL, KESSNER, FLOTHKÖTTER 2009,2f). Eine solche überwiegend kognitive Informationsvermittlung kann zwar das Ernährungsissen verbessern, ist jedoch wenig verhaltenswirksam (HAHNE 2011,417). Bei der aktuellen Beratungsarbeit bleibt die Beschäftigung mit dem eigenen Körper und den damit verbundenen Emotionen häufig ausgeklammert, da Emotionen nur wenig als verhaltensmodifizierende Stimuli wahrgenommen werden. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Forschungsarbeit, inwiefern theaterpädagogische Methoden im Rahmen von Gruppenberatungsprozessen dazu beitragen, Ernährungsgewohnheiten kritisch zu hinterfragen und Impulse zur Verhaltensänderung zu setzen. Zu Beginn der Arbeit wurde die aktuell eher kognitiv ausgerichtete Beratungsmethodik der Ernährungsberatung kritisch hinterfragt und neue Anforderungen an eine interdisziplinär ausgerichtete Ernährungsberatung formuliert. Das Konzept der Theaterpädagogik wurde einer theoretischen Betrachtung unterzogen und die Darstellung der vielfältigen Methoden ermöglichte es, Anknüpfungspunkte für das Anwendungsfeldder Ernährungsberatung in Gruppen aufzuzeigen. Aus den theoretischen Überlegungen ergab sich die Forderung, die bisherigen Erkenntnisse mit den Einschätzungen von Fachexperten (hier: Theaterpädagogen) abzugleichen. Als Experten wurden die Personen definiert, die a) theaterpädagogisch arbeiten und die b) die Methoden des Theaters der Unterdrückten in der Praxis anwenden. Auf Basis des empirischen Datenmaterials (8 leitfadengestützte Experteninterviews) erfolgte eine qualitative Inhaltsanalyse nach MAYRING (2010) unter Hinzuziehung der methodischen Anleitung von GLÄSER und LAUDEL (2010). Die Ergebnisse belegen, dass eine theaterpädagogische Beratungsarbeitzum Thema Übergewichtigkeit auf die Stärkung des Individuums abzielt, die Bearbeitung von Vor-und Nachteilen des eigenen Körpergewichts ermöglichen sowie den Umgang mit Vorurteilen anderer Menschen thematisieren sollte. Weitere Zielvorstellungen sind die Identifizierung und szenisch-theatrale Bearbeitung typischer ungünstiger Esssituationen, eigener Wünsche, Bedürfnisse sowie Barrieren für die Veränderung des eigenen Essve rhaltens. Auf Basis der empirischen Erkenntnisse wurde ein theaterpädagogisches Anwendungs¬modell (Workshop GegenGewicht) für die praktische Beratungsarbeit konzipiert und mit fünf Studierenden (Einschlusskriterium BMI > 25) der Justus-Liebig-Universitä t Gießen erprobt. Im Rahmen einer anschließenden Fokusgruppendiskussion wurd en die angeleiteten Übungen von den Stud ierenden bewertet. Methoden des Kreativen Schreibens wurden als Einstiegselemente zur Beschäftigung mit dem Thema Übergewichtigkeit als sinnvoll beurteilt, da sie nichtkörperliche aber emotionale Arbeits¬methoden darstellen. In der Hauptphase ermöglichte die Übung Raumlauf Hunger¬zustände das emotionale und körperliche Erleben bei Hunger und Sattheit und die Übung Das Schöne an mir verhalf zum (Wieder)Entdecken von liebsamen Körperpartien. Über Individual- und Gruppenstandbilder wurde die Haltung der Teilnehmer zu sich selbst, zu anderen und zu relevanten Ernährungsthemen (z.B. Schönheitswahn) sichtbar gemacht. Die als Kernaufgabe verstandene Übung schwierige Alltagssituationen erlaubte es, tatsächlich erlebte, ungünstige (Ess)Situation (z.B. Essen vor dem Fernseher) nachträglich zu korrigieren bzw. als Vorgriff auf eine zu erwartende ähnliche Situation zu optimieren. Durch die Kombination aus kognitiver Selbstbefragung und körperlicher Darstellung förderten alle angeleiteten Methoden die Beschäftigung mit dem eigenen Ich, den Humor und stärkten zudem das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe. Die angeleiteten theaterpädagogischen Methoden hatten Auswirkungen sowohl auf der kognitiven, als auch auf der emotional-körperlichen Verhaltensebene der Teilnehmer, da sie in einem wiederkehrenden Prozess von Ausprobieren, Zeigen/Zuschauen und Reflektieren stattfanden. Neue Verhaltensweisen wurden erarbeitet, im Tun körperlich und emotional erlebt und im Anschluss kognitiv beurteilt. Die vorliegende Arbeit konnte zeigen, dass der Einsatz theaterpädagogischer Methoden in der Gruppenberatung von übergewichtigen Ratsuchenden möglich ist und aus Sicht der Experten und der Zielgruppe positiv bewertet wird. Eine theaterpädago gische Beratungs¬arbeit erfordert von den Teilnehmern Offenheit und Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen. Sie sollten in der Regel freiwillig teilnehmen, eigenverantwortlich agieren und psychisch stabil sein. Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung im Anwendungsfeld der Ernährungsberatung sind ein an die Teilnehmerzahl angepasster, störungsfreier Raum, der eine vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre ermöglicht und ausreichend Zeit (mind. 90 Minuten). Der wichtigste Erfolgsfaktor ist jedoch die Ernährungsberaterin selbst, die folgende Voraussetzungen erfüllen sollte: Besitz einer eigenen Spielfreude, Methodenkompetenz (Theaterpädagogik, Gruppendynamik), Planungs-, Handlungs-und Reflexionskompetenz, geistige und körperliche Präsenz und eine wertschätzende Haltung gegenüber den Teilnehmern. Gefahren ergeben sich aus der mangelnden Professionalität auf der Ebene der Gruppendynamik, aus dem u.U. eingeschränkten Repertoire theaterpädagogischer Übungen und aus der Unsicherheit im Umgang mit Emotionen. Werden diese Gefahrenpunkte berücksichtig, ist die Integration theaterpädagogischer Methoden z.B. in das Kursprogramm zur Gewichtsreduktion der Krankenkassen (Individueller Ansatz) möglich. Ebenso können Beraterinnen in Beratungsnetzwerken (z.B. Dr. Ambrosius) ihr Methodenrepertoire durch Aneignung entsprechender Fachkenntnisse erweitern und somit ihre Gruppenberatung um körperlich¬emotionale Arbeitsmethoden ergänzen. Die Einbindung theaterpädagogischer Methoden in Konzepte der Erwachsenenbildung (z.B. Food Literacy) ist ebenfalls denkbar und empfehlenswert.


The recent Report on Nutrition, released by the German Nutrition Association (DGE) states again, that overweight and obesity are main health problems in Germany (DGE 2012). Although people are well informed about nutritional issues nowadays, nationwide 60% of men and 43% of women are overweight. Overweight and obesity have negative effects on social life, life quality and are related with diabetes and cardiovascular diseases. They probably also increase the risk of certain types of cancer. Nutrition counselors face the challenge to empower their clients to overcome the gap between knowledge about nutrition and everyday eating routines. Normally nutrition counselors use models and samples to explain physiological mechanisms or findings and show harmful health consequences by using statistical data (MENZEL, KESSNER, FLOTHKÖTTER 2009,2f). Such a mental approach is important, because it helps to build nutritional knowledge, but it is not influencing nutrition behavior. Down to the present day the body and its emotions are not included in counseling processes. Till now emotions are less regarded as behavior changing stimuli. Against this background this study aims to examine whether and how methods that are found within the portfolio of theatre education, can be used to analyse and change wrong nutritional habits. Furthermore the study should identify those methods which could help people to change their nutritional habits by getting impulses out of theater play. The first step of research is to analyse recent counseling methodology and to phrase new needs. Following this demands nutrition counseling processes should focus on inter¬disciplinary approaches. Looking at the working field of theatre education plenty of methods are found that could be suitable for group counseling. Because of those theoretical findings the practical side should be taken into account. Eight experts were interviewed by using a semi structured questionnaire. Therefore experts are defined as people who a) work with theatre education methods and b) are familiar with the methods of Augusto BOAL. The gathered data were analysed with qualitative interview analysis methods (GLÄSER, LAUDEL 2010; MAYRING 2010). The findings show that theatre-based counseling on overweight and obesity shall help to empower people, enable them to work on advantages and disadvantages concerning their bodyweight and shall work on strategies against discrimination. Furthermore inappropriate eating habits shall be processed and barriers to change nutritional habits shall be identified. With regard to empirical findings a theatre-based workshop (GegenGewicht) has been developed. This workshop concept was proved with five overweight students (BMI > 25) studying at Justus-Liebig-University. Subsequent to the workshop a focus group discussion was conducted and the students were asked to describe their feelings and experiences during the workshop. They were also asked to evaluate single exercises about their emotional, physical and mental efficiency. Looking at the results creative writing wa evaluated as a useful unphysical but very emotional working method, especially at the beginning of workshop programs. By using the exercise Raumlauf Hungerzustände the students were enabled to experience the emotional and physical sides of hunger and satiety. With the objective to (re)discover one sownbody in itsbeauty the exercise Das Schöne a n mir was evaluated positively. Byusing Individual- and Gruppenstandbilder the students could express their own attitude towards themselves, others and relevant nutritional issues, like for example the obsession of being beautiful. The exe rcise Schwierige Alltagssituationen was evaluated as core task. With the help of this me thod students could analyse and correct difficult everyday life routines such as for instance eating in front of television. Therefore they could create coping strategies in order to combat future situations of temptation. The combination of mental self-questioning and physical performance promote the focus on own needs and barriers. Furthermore theatre methods did also foster the humorous way of working on nutrition issues and strengthened the bonding between the students as a group. The students were touched emotionally, physically and mentally, because theatre methods occurred in a recurring process of testing, showing/watching and excogitating. That way, new habits were acquired and experienced physically and emotionally. The current study shows that working with theater methods in group counseling processes with overweight people is possible. It is evaluated positively by experts and the target group itself. According to the participant sperspective,theatre-based nutrition counseling requires sincerity and willingness to experience something new, voluntary participation, autonomous (re)a ction and mental strength. Looking at framework conditions the nutrition counselor needs a room, where all the participants can enter and where she can work without disturbance in order to build up an atmosphere of trust. Furthermore she has to ensure that there is enough time, at least 90 minutes. The most important factor of success is the nutrition counselor herself. She should be aware of following skills: have own joy of playing, methodological competences regarding playing theatre a nd group dynamics, planning and decision-making competence. Furthermore she should be ever¬present emotionally and physically and she should face her clients with high regard. Difficulties could arise because of having less experience in group dynamics, less routine in using theater methods and being mentally overextended with upcoming participant s emotions. With regard to those difficulties theatre methods could be included in existing counseling programs on weight reduction. By using those, nutrition counselors can easily extend their methodological toolbox with a more physical and of course emotional approach. The inclusion of this approach is also conceivable and advisable for adult education programs (like for instance Food Literacy activities).

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Giessen : VVB Laufersweiler

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