Spinale durale arteriovenöse Fistel – pathogenetische und therapeutische Aspekte einer seltenen Erkrankung

Datum

2022

Autor:innen

Betreuer/Gutachter

Weitere Beteiligte

Herausgeber

Zeitschriftentitel

ISSN der Zeitschrift

Bandtitel

Verlag

Zusammenfassung

Trotz der technischen Fortschritte in den letzten Jahrzehnten gelten die spinalen Ge- fäßmalformationen weiterhin sowohl diagnostisch als auch therapeutisch als komplexe Pathologien. Es wurden zwar verschiedene Theorien zur Pathogenese dieser AV-Mal- formationen aufgestellt, eine ausreichende Erklärung des Entstehungsmechanismus blieb bisher jedoch aus. Basierend auf der Annahme, dass die Erkrankung eine erworbene vaskuläre Pathologie ist, wurden im Rahmen dieser kumulativen Habilitation erstmalig in der Literatur die häufigsten vaskulären Risikofaktoren in einer großen Fallserie statistisch epidemi- ologisch untersucht. Interessanterweise zeigten unsere Daten, dass Patienten mit einer sdAVF signifikant häufiger als die Gesamtbevölkerung an einer therapiebedürftigen arteriellen Hypertonie leiden. Aufgrund unserer Analyse nehmen wir an, dass die arterielle Hypertonie als ein begünstigender Faktor in der Pathogenese der sdAVF an- gesehen werden kann. Diese Korrelation zwischen sdAVF und arterieller Hypertonie erklärt zudem einige bisher nur unvollständig geklärte klinische Phänomene. Dabei handelt es sich um die Fragen, warum sdAVF fast ausschließlich bei Patienten im mittleren bis fortgeschrittenen Alter (50–60 Jahre) auftreten und warum die Symptome der unbehandelten sdAVF-Patienten bei körperlicher Anstrengung wie psychischer Aufregung oder sportlichen Aktivitäten akut zunehmen. Andererseits stellt unsere Hypothese sicherlich einen Anreiz für weitere histologische und anatomische Studien der bisher wenig erforschten spinalen Dura und spinalen vaskulären Anatomie dar. Darüber hinaus ist ein fundiertes Wissen über die vaskuläre Anatomie des Rückenmarks, deren Varianten und pathologische Prozesse eine obligatorische Vorausset- zung für ein suffizientes diagnostisch-therapeutisches Konzept. Im Rahmen dieser kumulativen Habilitation wurden erstmalig klinische, angiomorpho- logische sowie auch neurochirurgische Aspekte seltener Untergruppen der spinalen AV-Fisteln ausführlich erforscht. Sowohl die klinisch-bildmorphologischen Besonderheiten als auch die Therapieoptionen und der Langzeitverlauf von neurochirurgisch behandelten Patienten mit einer sdAVF in der tiefen lumbosakralen Region wurden in mehreren Analysen bearbeitet. Unsere Daten zeigten, dass die venöse Drainage dieser Fisteln sowohl über eine Ra- dikularvene als auch über die Vene des Filum terminale erfolgen. Der AV-Shunt in diesen Fisteln zeigt einen besonderen Low-Flow-Charakter. Unsere Analysen ergaben zudem, dass sdAVF in der tiefen lumbosakralen Region durch eine relativ häufige multiarterielle/bilaterale Versorgung im Vergleich zu den häufigeren sdAVF in der thorakolumbalen Region gekennzeichnet sind. Einen weite- ren Unterschied stellt die Lokalisation der Fistelzone dar, die sich bei diesen sdAVF im Gegensatz zu den thorakolumbalen Fisteln, wo die Fistelzone fast ausschließlich auf der dorsalen Seite der Nervenwurzel lokalisiert ist, häufig im vorderen Bereich einer Nervenwurzel befindet. Alle diese anatomischen, bisher nicht beschriebenen Be- sonderheiten sollten sowohl während der spinalen diagnostischen Angiographie als auch der operativen Behandlung berücksichtigt werden. Ein weiterer Bestandteil dieser kumulativen Habilitation waren die bisher in der Literatur selten beschriebenen seAVF. Die Fistelzone befindet sich bei den seAVF im epiduralen Raum und durch bisher ungeklärten Prozesse kommt es im Lauf der Zeit zu einer Arterialisierung der intraduralen Venen über die retrograde Füllung einer Radikularvene. In unserer Datenbank konnten wir eine komplexe und oftmals variable Angiomorphologie dieser Fisteln feststellen. Der Aufbau des AV-Shunts variiert hier von einer umschriebenen epiduralen Fistelzone bis hin zu einem komplexen über mehrere Segmente ausgedehnten arterialisierten Gefäßkonvolut. Des Weiteren konnten wir nachweisen, dass die arterielle Versorgung dieses arterialisierten epiduralen Gefäßkonvoluts über mehrere Segmentarterien erfolgen kann. Unsere Analyse zeigte zudem, dass die Drainagevene bei diesen Fisteln in einer Distanz von mehreren Segmenten von der eigentlichen epiduralen Fistelzone lokalisiert werden kann. Diese Erkenntnisse beeinflussen die Therapieentscheidung fundamental. Basierend auf unseren anatomischen Beobachtungen in diesem Patientengut ist eine operative Versorgung dieser Fisteln zu bevorzugen. Eine endovaskuläre Versorgung ist aufgrund der angiomorphologischen Komplexität dieser Fisteln mit einem deutlich erhöhten Risiko eines Rezidivs verbunden, sodass wir aufgrund unserer Analyse von einer primären Embolisation der Läsion abraten. Des Weiteren wurden im Rahmen der Habilitation mehrere Analysen hinsichtlich des postoperativen Langzeitverlaufs durchgeführt. In erster Linie wurde der Einfluss der frühen postoperativen Heparinisierung auf den Langzeitverlauf erstmalig in der Literatur analysiert. Unsere Daten zeigten zwar keinen signifikanten Einfluss der Heparinisierung, wir konnten jedoch eine deutliche Erholung bei Patienten registrieren, die eine frühe postoperative Verschlechterung der Symptome erlitten hatten. Das Phänomen der postoperativen Verschlechterung trotz suffizienter Okklusion einer sdAVF wurde in der Literatur nur selten beschrieben. Wir vermuten, dass es in Folge der operativen Ausschaltung einer sdAVF und des daraus resultierenden abrupten Stopps des arteriellen Blutflusses in die perimedullären Venen zur Bildung von Mikrothromben in diesem Venensystem kommt. Diese Mikrothromben können wiede- rum weitere Gefäßverschlüsse verursachen und die venöse Drainage des Rückenmarks negativ beeinflussen. Durch die von uns registrierte Besserung der Symptome nach einem Ansetzen der Heparinisierung bei diesen Patienten kann diese Hypothese bekräftigt werden. Basierend auf diesen Ergebnissen ist eine routinemäßige Heparinisierung nach der Ausschaltung einer sdAVF nicht sinnvoll. Sollte es jedoch postoperativ zu einer akuten Verschlechterung der Symptome kommen, ist eine Heparinisierung der betroffenen Patienten indiziert, bis sich die neu aufgetretenen Symptome gebessert haben. Des Weiteren wurden im Rahmen dieser Habilitation die Langzeitergebnisse sowie der Einfluss unterschiedlicher klinischer und bildmorphologischer Parameter auf den gesamten postoperativen Langzeitverlauf untersucht. Unsere Analyse zeigte, dass eine längere Symptomdauer mit einem deutlich schlechteren funktionellen Status zum Zeitpunkt der Analyse assoziiert ist. Bedauerlicherweise konnten wir auch feststellen, dass sich die Symptomdauer bei Patienten mit sdAVF über die letzten drei Jahrzehnte trotz der enormen Entwicklung der diagnostischen Verfahren in demselben Zeitraum nicht verkürzt hat. Diese Beobachtung spiegelt möglicherweise einen weiterhin bestehenden Mangel an Kenntnissen über diese Pathologien in den behandelnden Disziplinen wider. Es ist grundsätzlich zu beachten, dass mittels einer MRT-Untersuchung im Rahmen der Abklärung einer Gangataxie mit ungeklärter Ursache die gesamte spinale Achse abgebildet werden muss, um alle möglichen strukturellen Veränderungen zu erfassen. Typische kernspintomographische Veränderungen bei einer vaskulären Pathologie der spinalen Achse sind erweiterte intradurale Gefäße sowie ein medulläres Ödem mit oder ohne Kontrastmittelaufnahme. Bei solchen Veränderungen sollte unbedingt eine erweiterte Gefäßdarstellung der spinalen Achse veranlasst werden. In dieser Hinsicht liefern modernste Techniken wie die spinale zeitaufgelöste dynamische Kernspinangiographie (z. B. TWIST-MR-Angiographie) oder weitere spezielle bildgebende Verfahren im Rahmen der spinalen DSA (z. B. Dyna-CT) zudem exzellente diagnostische Ergebnisse. Durch eine frühzeitige Diagnosestellung und adäquate Therapie kann die chronisch progressive Schädigung des Rückenmarks bei den betroffenen Patienten verhindert oder zumindest reduziert werden. Bei der Therapieplanung ist die Erfahrung der beteiligten neuroradiologischen und neurochirurgischen Fachdisziplinen in der Behandlung dieser Art von Gefäßmalformationen ausschlaggebend. Das Ziel weiterer wissenschaftlicher Arbeiten sollte unter anderem darin bestehen, die bisher wenig studierte venöse Drainage des Rückenmarks genauer zu untersuchen. Des Weiteren sollten die aus einer pathologischen AV-Kurzschlussbildung resultierenden pathophysiologischen Prozesse sowohl histopathologisch als auch bildmorpholo- gisch intensiver erforscht werden. Dies alles könnte die bisher lange Symptomdauer bis zur korrekten Diagnosestellung einer sdAVF wesentlich verkürzen, die Therapieplanung deutlich verbessern und somit das Risiko einer irreversiblen Schädigung des Rückenmarks reduzieren, wodurch in erster Linie das Leiden der betroffenen Patienten gelindert werden könnte.

Beschreibung

Inhaltsverzeichnis

Anmerkungen

Erstpublikation in

Sammelband

URI der Erstpublikation

Forschungsdaten

Schriftenreihe

Erstpublikation in

Zitierform