Thure von Uexküll (1908 – 2004). Protagonist bei der Institutionalisierung der Psychosomatischen Medizin und der Reform des Medizinstudiums – Leben und Wirken bis ca. 1966/1970

Datum

2024

Autor:innen

Betreuer/Gutachter

Weitere Beteiligte

Herausgeber

Zeitschriftentitel

ISSN der Zeitschrift

Bandtitel

Verlag

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit zeigt neue Details über Thure v. Uexkülls frühe Karriere auf dem Weg zu einem der nachhaltig einflussreichsten deutschen Psychosomatiker. Beschrieben wird zunächst v. Uexkülls fachlich breite Ausbildung bei renommierten Medizinern, u. a. an der II. Medizinischen Klinik der Berliner Charité bei Gustav v. Bergmann, Internist und Wegbereiter der deutschen Psychosomatik, als seinem Mentor. In einem zweiten Schritt werden v. Uexkülls Aufenthaltsorte und Aktivitäten mit Blick auf den Nationalsozialismus und in die Zeit des Zweiten Weltkriegs analysiert. Neue Quellenfunde ermöglichen eine gegenüber dem bisherigen Kenntnisstand deutlich detailliertere Rekonstruktion seines Kriegsdiensteinsatzes in zwei Polizeibataillonen in Osteuropa. Geklärt ist nun v. Uexkülls Tätigkeit als Sanitätsoffizier der Schutzpolizei der Reserve in zwei Polizeibataillonen bei Gomel (I. Bataillon des Polizeiregiments 8) bzw. bei Agram/ Zagreb (II. Bataillon des Polizeiregiments 19). Weitere neue Quellenfunde ermöglichen eine Rekonstruktion des Verhaltens v. Uexkülls in Bezug auf einen Eintritt in die NSDAP und Mitgliedschaften in verschiedenen weiteren NS-Organisationen wie dem Stahlhelm bzw. der SA, der NSV und dem Hauptamt für Volksgesundheit. Dokumentiert ist nun eine gültige, nach einigen Monaten jedoch seitens der Partei wieder beendete NSDAP-Mitgliedschaft v. Uexkülls. In diesem Zusammenhang ließen sich auch die genaueren Umstände für v. Uexkülls verhältnismäßig späte Habilitation erschließen. Dennoch bleibt eine endgültige Klärung des Verhältnisses v. Uexkülls zum Nationalsozialismus offen. Nach den vorliegenden Dokumenten war er kein überzeugter Anhänger, wusste sich jedoch zu arrangieren. Die britische Militärregierung in Hamburg sowie die Spruchkammer in München entlasteten ihn in ihren Einschätzungen als „unbedenklich“ bzw. „nicht betroffen“. In der unmittelbaren Nachkriegszeit (1945 bis 1946) war v. Uexküll in Hamburg als wissenschaftlicher Assistent der I. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE) sowie in der ärztlichen Versorgung ehemaliger Zivilgefangener und als Beirat der britischen Militärregierung tätig. Anschließend arbeitete v. Uexküll von 1946 bis 1955 in München an der II. Medizinischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), erneut unter v. Bergmann als Direktor. In dieser Zeit erfolgte seine Habilitation, die Beförderung zum Oberarzt und die Ernennung zum apl. Professor. Zudem entwickelte er eine Freundschaft zu dem Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich und blieb in engem Austausch mit dem Philosophen Ernesto Grassi. Ab 1955 war v. Uexküll zunächst als a. o. Professor, dann ab 1961 als ordentlicher Professor für Innere Medizin und Direktor der Medizinischen Poliklinik an der Universität Gießen tätig, bis er 1966 als einer der Gründungsprofessoren an die Medizinische Fakultät der neuen Reformhochschule Ulm berufen wurde. Neben seiner Tätigkeit in Klinik und Forschung erlangte v. Uexküll große Bedeutung für die Reform des Medizinstudiums, die er in Pionierarbeit zunächst in Gießen, dann auf Bundesebene wesentlich mitgestaltete. Konkret konnten ausführliche, noch heute zeitgemäße Reformkonzepte v. Uexkülls rekonstruiert werden, die auch Einfluss auf Reformprogramme anderer medizinischer Fakultäten wie der in Aachen oder Ulm hatten. Darüber hinaus nahmen die Gießener Konzepte Einfluss auf Empfehlungen des Wissenschaftsrats sowie die von Grund auf neu strukturierte Approbationsordnung für Ärzte von 1970. In diesem Kontext lassen sich auch Kontroversen zu den Plänen für eine Reform des Medizinstudiums unter den (west-) deutschen medizinischen Fakultäten sowie im Rahmen der medizinischen Fakultätentage detailliert nachvollziehen. Ebenso wird detailliert dargestellt, in welcher Weise v. Uexküll ein zentraler Akteur bei der Etablierung der Psychosomatik in Gießen wurde: So wird die Entstehungsgeschichte des Lehrstuhls für Psychosomatik in Gießen sehr viel genauer als bisher bekannt beschrieben, u. a. mit wechselhaften Diskussionen und sich verändernden Haltungen der Gießener Medizinischen Fakultät zur Einrichtung des Lehrstuhls und der damit verbundenen Klinik, der Dynamik zwischen der Gießener und der Frankfurter medizinischen Fakultät, sowie den Rollen von Mitscherlich, v. Uexküll und von Vertretern der hessischen Landesregierung in diesem für die Institutionalisierung der deutschen Psychosomatik bedeutenden Prozess der Etablierung des Gießener Lehrstuhls. Abschließend lässt sich feststellen, dass offene und zentrale, in der Forschung bisher teilweise heftig diskutierte Fragen aus der Biographie v. Uexkülls nun weiter, wenngleich nicht in allen Punkten abschließend, geklärt werden konnten. Für ein umfassenderes Verständnis zur universitären Etablierung der Psychosomatik und zum Zustandekommen der neuen Approbationsordnung von 1970 ist allerdings weitere Forschung erforderlich.

Beschreibung

Inhaltsverzeichnis

Anmerkungen

Erstpublikation in

Sammelband

URI der Erstpublikation

Forschungsdaten

Schriftenreihe

Erstpublikation in

Zitierform