Phänotypisierung der Variabilität der Schwanzlänge und Schwanzgesundheit beim Schwein
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Zusammenfassung
In Anbetracht des immer höheren Stellenwertes des Tierschutzes in der Gesellschaft rücken besonders auch Probleme in der Nutztierhaltung immer mehr in den Fokus der Gesellschaft. In der Schweinehaltung stellt die Problematik rund um den Kupierverzicht und Schwanzläsionen ein besonders stark diskutiertes Thema dar. Trotz geltendem Kupierverbot durch die EU-Richtlinie 2008/120/EG werden in Deutschland weiterhin die Schwänze von ca. 95 % der Saugferkel routinemäßig kupiert, da dies bislang als die erfolgreichste Maßnahme gegen Schwanzbeißen gilt. Diese Maßnahme stellt jedoch einen sowohl kurz- als auch langfristig schmerzhaften Eingriff für die Tiere dar. Die Schwanzläsionen selbst stellen ein multifaktorielles Problem dar und können sowohl durch ein primäres oder sekundäres Beißgeschehen durch Buchtengenossen als auch als Symptome des Swine Inflammation and Necrosis Syndroms (SINS) entstehen. Sie stellen eine signifikante ökonomische Belastung dar und gefährden das Tierwohl in erheblichem Maße. Als Ursachen für das Schwanzbeißen werden vor allem Frustration und Stress, beispielsweise durch inadäquate Haltungs- und Umweltbedingungen, sowie eine genetische Komponente diskutiert. SINS-Symptome manifestieren sich nicht nur am Schwanz, sondern treten meist parallel auch an anderen Körperteilen, unter anderem den Ohren und Klauen, auf. Als Ursache wird ein übermäßiger Endotoxineinstrom aus dem Darm angenommen, wodurch lokale und systemische Entzündungsprozesse entstehen und dadurch terminale Blutgefäße schädigen. Diese Hypothese wird von verschiedenen Studien gestützt. Daraus resultieren die sichtbaren Symptome wie Borstenausfall, Rötung, Schwellung, Exsudation und Nekrosen.
Ein Ansatz, um Schwanzbeißen ohne Kupieren verhindern zu können ist es, die Schwänze genetisch zu verkürzen. Diese Idee beruht darauf, dass die verminderte Attraktivität der Schwänze durch die Verkürzung durch das Kupieren als ein Grund vermutet wird, weshalb das Kupieren Schwanzbeißen vermindern kann. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass bei anderen Tierarten im Zusammenhang mit einer Schwanzlängenreduktion bereits teils massive Missbildungen oder eine erhöhte embryonale Letalität bekannt sind. Auch beim Schwein gibt es erste Hinweise auf eine erhöhte Prävalenz von Knickschwänzen bei kürzeren Schwänzen.
Die vorliegende Arbeit hatte zum Ziel, die Eignung der Züchtung auf kürzere Schwänze als Alternative zum routinemäßigen Kupieren beim Schwein zu untersuchen und auf dieser Grundlage eine Empfehlung für die weitere Vorgehensweise abzuleiten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden folgende Fragen bearbeitet: i) Welche Schwanzlängen kommen bei neugeborenen Ferkeln in einer Herde mit bekannter Segregation für das Merkmal „Schwanzlänge“ vor? ii) Kommen Missbildungen, insbesondere Knickschwänze, in Assoziation mit der Schwanzlänge vor und hat die Schwanzlänge einen Einfluss auf die Zunahmen der Tiere? iii) Ist die Schwanzgesundheit, besonders auch die SINS-Symptomatik, assoziiert mit der Schwanzlänge und möglichen Knickschwänzen?
Hierfür wurden 24 Anpaarungen von 21 Sauen der Rassen DE, DL, DExDL sowie Piétrain mit sechs Ebern der Rasse Piétrain nach Anpaarungsvorschlägen des Instituts für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführt. Aus diesen Anpaarungen wurden 348 Ferkel am dritten Lebenstag sowie elf Tage nach dem Absetzen 336 Ferkel bonitiert. Im Rahmen der ersten Bonitur wurden allgemeine Wurfdaten wie Sau, Rasse der Sau, Wurfnummer und Wurfgröße sowie Eber, Geburtsgewicht und Gewicht am dritten Lebenstag, Körperlänge und Schwanzlänge sowie sichtbare Missbildungen, vor allem Knickschwänze, erfasst. Aus der Körperlänge und der Schwanzlänge wurde die relative Schwanzlänge für jedes Ferkel berechnet. Im Anschluss an die erste Bonitur wurden die Ferkel zur Vermeidung von Schwanzbeißen kupiert. Am zweiten Termin erfolgte ebenfalls eine Erfassung des Gewichts. An beiden Tagen erfolgte eine Bonitur von Schwanzbasis, Schwanzspitze, Ohren, Gesicht, Nabel, Zitzen, Kronsaum, Ballen und Klauenwand auf Entzündungs- und Nekroseanzeichen. Fälle von Schwanzbeißen konnten während der Laufzeit des Versuches nicht festgestellt werden. Für alle Körperteile wurden SINS-Werte berechnet sowie ein Gesamt-SINS-Wert für jedes Ferkel bestimmt. Dies erfolgte jeweils für Saug- und Aufzuchtferkel getrennt.
Der gesamte Versuch wurde auf der landwirtschaftlichen Lehr- und Forschungseinrichtung (LFE) Oberer Hardthof des Instituts für Tierzucht und Haustiergenetik der Justus-Liebig-Universität Gießen durchgeführt.
Die ermittelten absoluten sowie relativen Schwanzlängen zeigten eine deutliche Segregation, obwohl bisher auf diesem Betrieb keine Selektion auf dieses Merkmal stattgefunden hat. Es konnten absolute Schwanzlängen von 6,6 bis 12,0 cm gemessen werden, während die relativen Schwanzlängen Werte von 20,25 bis 31,29 % von der Gesamtlänge der Tiere aufwiesen (Körperlänge plus Schwanzlänge). Es konnten signifikante Einflüsse sowohl des Ebers, als auch der Sau und der Rasse der Sau auf die relativen Schwanzlängen festgestellt werden. Bei einem beachtlichen Anteil von 12 % der Ferkel lagen ein oder mehrere Knicke im Schwanz vor. Des Weiteren manifestierten sich vereinzelt weitere Missbildungen, deren Auftreten jedoch aufgrund der geringen Anzahl an Fällen nicht mit der Schwanzlänge oder dem Knicken in Verbindung gebracht werden konnte.
Auf das Vorkommen von Knickschwänzen zeigten ebenfalls sowohl der Eber als auch die Sau signifikante Einflüsse. Zusätzlich konnte ein signifikanter Einfluss der Schwanzlänge nachgewiesen werden. So zeigten die 20 % der Ferkel mit den kürzesten Schwänzen eine 6-fach höhere Wahrscheinlichkeit einen Knickschwanz zu haben als die 20 % der Ferkel mit den längsten Schwänzen.
Obwohl kein Schwanzbeißgeschehen nachgewiesen werden konnte, wies ein Großteil der Ferkel bereits am dritten Lebenstag Entzündungsanzeichen sowohl an der Schwanzbasis als auch der Schwanzspitze auf. Parallel dazu waren bei den meisten Tieren auch entzündliche bis nekrotische Veränderungen an den übrigen untersuchten Körperteilen zu finden. In beiden Altersstufen wiesen 100 % der Tiere mindestens eine Veränderung an den untersuchten Körperteilen auf. Am Schwanz wiesen über 60 % der Saug- und über 87 % der Aufzuchtferkel mindestens eine Veränderung auf.
Die Schwanzlänge zeigte weder einen Einfluss auf Entzündungen und Nekrosen am Schwanz, noch auf den Gesamt-SINS-Score. Das Vorhandensein eines Knickschwanzes hatte ebenfalls nur einen geringen Einfluss auf die ermittelten SINS-Scores. Auffällig jedoch ist, dass bei Ferkeln, bei denen ein Knick festgestellt wurde, bei der zweiten Bonitur signifikant häufiger eine Nekrose nachgewiesen wurde als bei den Tieren ohne Knick.
Die Ergebnisse zeigen, dass eine deutlich ausgeprägte Segregation der Schwanzlängen in der untersuchten Herde vorliegt. Eine kürzere Schwanzlänge ist mit einer erhöhten Prävalenz von Knickschwänzen assoziiert. Sie hat jedoch keinen Einfluss auf die Schwanzgesundheit und auf SINS. Daher ist bei einem Weiterverfolgen des Ziels, den Kupierausstieg durch eine genetische Verkürzung der Schwänze zu erreichen, mit äußerster Vorsicht vorzugehen, damit keine erhöhten Prävalenzen von Missbildungen auftreten. Der Nutzen einer reinen Schwanzlängenreduktion ist zudem fraglich. Eine Anpassung der Haltungsbedingungen und der Genetik zur Reduktion von sowohl Schwanzbeißen als auch SINS scheint unerlässlich, um einen Ausstieg aus der Kupierpraxis erfolgreich durchführen zu können.
Beschreibung
Inhaltsverzeichnis
Anmerkungen
Erstpublikation in
Giessen: VVB Laufersweiler Verlag, 2025