Cholinerge Regulation der ATP-vermittelten Freisetzung des pro-inflammatorischen Zytokins Interleukin-1β
Datum
Autor:innen
Betreuer/Gutachter
Weitere Beteiligte
Herausgeber
Zeitschriftentitel
ISSN der Zeitschrift
Bandtitel
Verlag
Zitierlink
Zusammenfassung
Trotz intensiver Forschung führen Polytraumata und schwere Operationen auch heute noch zu lebensbedrohlichen systemischen Entzündungen, Sepsis und Multiorganversagen, mit einer nicht akzeptablen hohen Gesamtletalität (Westphal und Kampmeier 2015). Eine bedeutende Rolle in der Pathogenese dieser traumainduzierten Immundysfunktion spielt das hochpotente pro-inflammatorische Zytokin IL-1β, welches von Monozyten, Makrophagen sowie von Epithelzellen synthetisiert wird und unerlässlich für die Immunabwehr gegen Infektionen ist. Die Synthese und Freisetzung von IL-1β muss strikt reguliert werden (Dinarello 2018). Nach Verletzungen wird die Reifung und Ausschüttung von IL-1β durch extrazelluläres ATP, das aus dem Zytoplasma geschädigter Zellen stammt, stimuliert und aktives IL-1β sezerniert. Unter normalen Bedingungen bleiben diese pro-inflammatorischen Reaktionen lokal begrenzt. Bei schweren Traumata und großen chirurgischen Eingriffen kommt es hingegen durch massive Gewebeschädigung zu einer überschießenden Zytokin-Ausschüttung und folglich zur traumainduzierten Immundysfunktion. Bis heute gibt es neben entzündungshemmenden Therapien, welche die Infektanfälligkeit aber maßgeblich erhöhen können, keine geeigneten Behandlungen für die traumainduzierte Immundysfunktion.
In dieser kumulativen Habilitationsschrift wurden verschiedene Forschungsprojekte zusammengefasst, die einen neuen anti-inflammatorischen cholinergen Kontrollmechanismus der ATP-vermittelten Freisetzung von IL-1β aus mononukleären Phagozyten identifizieren und charakterisieren (Hecker et al. 2015; Zakrzewicz & Richter et al. 2017; Richter et al. 2016; Backhaus et al. 2017 Richter et al. 2018a). Diese cholinerge Regulation beruht auf der Aktivierung von unkonventionellen nAChRs mit den evolutionär hoch konservierten Untereinheiten α7, α9 und/oder α10 durch klassische Agonisten wie ACh, Cholin und Nikotin. Es konnten aber auch mehrere bisher unbekannte, endogene nAChR-Agonisten identifiziert werden: Phosphatidylcholine sowie deren Metabolite wie PC und PC-haltige Moleküle. Gleichzeitig konnte eine vollkommen neue biologische Funktion des Akute-Phase-Proteins CRP, ein sensitiver Entzündungsmarker und Standardparameter in der klinischen Blutanalyse, aufgeklärt werden: In seiner endogenen, PC-bindenden, pentameren Form inhibiert CRP effizient und über nAChR-vermittelt die monozytäre ATP-induzierte Freisetzung von IL-1β (Richter et al. 2018b). Interessanterweise hängt dieser inhibitorische Effekt nicht nur von dem CRP-gebundenen Liganden ab, vielmehr noch potenziert CRP die cholinerge Wirkung von freiem PC um ein Vielfaches (Richter et al. 2018b). Eine prospektive klinische Studie legt zudem nahe, dass erhöhte CRP-Konzentrationen vor einer traumainduzierten Immundysfunktion schützen (Richter et al. 2018b). Demnach scheint CRP Teil einer negativen Rückkopplungsschleife zu sein, welche die IL-1β-Freisetzung bei systemischer Entzündung limitiert.
Als einen potenziellen Gegenspieler des cholinergen Regulationsmechanismus, konnte das Aβ1-42-Peptid identifiziert werden (Richter et al. 2020), welches bisher hauptsächlich im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit untersucht wurde. An unkonventionellen, monozytären nAChRs wirkt Aβ1-42 in vitro antagonistisch und ermöglicht so die ATP-induzierte IL-1β-Freisetzung in Anwesenheit von nAChR-Agonisten. Da wir zudem Hinweise erbringen konnten, dass das Aβ1-42-Peptid auch in vivo wirkt (Richter et al. 2020), könnte das Aβ1-42-Peptid somit als endogener, pro-inflammatorischer Regulator präventiv gegen Infektionen und Sepsis sein.
Die hier zusammengefassten Arbeiten haben zudem wesentlich zu einem Paradigmenwechsel im wissenschaftlichen Blick auf die nAChRs beigetragen. Während nAChRs kanonisch als ionotrope Rezeptoren eine unerlässliche Rolle für die Reizweiterleitung im neuronalen System spielen, sind es metabotrope Funktionen der unkonventionellen nAChRs in mononukleären Phagozyten, die zur Inhibition des ATP-sensitiven P2X7 Rezeptors führen und somit die IL-1β-Freisetzung inhibieren (Hecker et al. 2015; Zakrzewicz & Richter et al. 2017; Richter et al. 2016; Richter et al. 2023a). Diese Erkenntnisse sind von großer Bedeutung für die Rezeptorforschung und gehen weit über die cholinerge Kontrolle der IL-1β-Freisetzung hinaus. Durch unsere Erkenntnisse rückte auch die α9-nAChR-Untereinheit immer mehr in den Fokus. In weiteren Arbeiten konnten neben synthetischen nAChR-silent agonists auch spezifische α9-Agonisten charakterisiert werden (Richter et al. 2022; Richter et al. 2023b). Dabei zeigten sich neben der anti-inflammatorischen Wirkung auch eine potente analgetischen Wirkung von α9-nAChR-Liganden, die somit eine vielversprechende therapeutische Option zur Behandlung von inflammatorischen Erkrankungen und Schmerz sein könnten.
Ein großer Vorteil des hier identifizierten cholinergen Kontrollmechanismus ist, dass gezielt die traumainduzierte (ATP-abhängige) Freisetzung von IL-1β inhibiert, gleichzeitig die IL-1β-abhängige Pathogenabwehr jedoch nicht völlig unterbunden wird. Zudem erwarten wir von den endogenen nAChR-Agonisten wie Phosphatidylcholine und seine Metabolie, sowie von den synthetischen silent agonists, dass sie nicht mit den kanonischen nAChR-Funktionen im Nervensystem interferieren. Somit ist dieser Mechanismus ein vielversprechender Ansatzpunkt für die dringend benötigten präventiven Therapien einer traumainduzierten Immundysfunktion.