Psychosoziale Bedeutung einer künstlichen Ernährung von Kindern für die Familie - Eine longitudinale Vergleichsstudie
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Zusammenfassung
Ein chronisches Darmversagen im Kindes- und Jugendalter mit der Notwendigkeit einer künstlichen Ernährung hat eine Vielzahl an Auswirkungen auf die gesamte Familie. Durch die sehr aufwendige und zeitintensive Pflege können Einschränkungen, Probleme, finanzielle Sorgen und familiäre Konflikte entstehen.Bereits in der Ersterhebung 2011 wurde der Fragestellung, wie sich eine langzeitige heimparenterale Ernährung eines chronisch erkrankten Kindes auf die Familie auswirkt, nachgegangen. Mithilfe der longitudinalen Vergleichsstudie (Follow-up Studie) wurde nun untersucht, inwiefern sich die psychosoziale Belastungssituation dieser Familien zwischen den beiden Messzeitpunkten verändert hat. Ziele der Arbeit waren, mögliche Coping-Mechanismen herausarbeiten zu können und basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen praktische Ansätze für neue Beratungs- und Therapiekonzepte zu generieren.Das Studienkollektiv wurde telefonisch aus Mitgliedern eines Elternvereins für Kinder mit chronischem Darmversagen rekrutiert. Von den insgesamt 40 befragten Familien der Ersterhebung (2011) nahmen im Rahmen der Follow-up Studie (2015) 33 Familien an der Befragung erneut teil. Für die quantitative Datenerhebung wurde für jedes Familienmitglied dem Alter entsprechend ein Fragebogen-Set zusammengestellt und den Familien zugeschickt. Die Fragebögen erfassten Informationen über das Familiensystem (FB-A) und die Bindungsfähigkeit (AAS, TAS), als auch psychische Belastungen (DIKJ, HADS) und psychosomatische Beschwerden (GBB 24, GBB-KJ). Als Ergänzung und zum besseren Verständnis der Familiensysteme und deren Bewältigungs-Strategie wurden zusätzlich zur qualitativen Datenerhebung semistrukturierte Tiefeninterviews mit 14 der Familien geführt.In der vorliegenden Follow-up Studie konnte die bereits in der Ersterhebung ermittelte psychosoziale Belastung der Familien erneut nachgewiesen werden. Neben der Schilderung der Belastung in den Interviews wurde für die Mehrheit der Studienteilnehmer im GBB-24 ein hoher Beschwerdedruck (T-Werte >50) nachgewiesen. Signifikant ließ sich der höhere Mittelwert im Vergleich zur Normgruppe im t-Test für die Mütter nachweisen. Eine große Belastung zeigte sich auch bei den erkrankten Kindern und den gesunden Geschwistern. Im longitudinalen Vergleich ließ sich zwar eine leichte Verbesserung der psychosomatischen Belastung in einer Abnahme der Mittelwerte erkennen, dennoch zeigten die beiden Gruppen einen durchschnittlich bzw. einen überdurchschnittlich hohen Beschwerdedruck auf. Dieser wurde 2015 in den signifikant erhöhten Mittelwerten im Vergleich zur Eichstichprobe im t-Test ersichtlich. Bei den Müttern wurde zudem die emotionale Belastung in der hohen Ängstlichkeit (HADS) deutlich. Obwohl eine signifikante Abnahme der Mittwerte im zeitlichen Verlauf zu erkennen war (t(30)=2,618, p=0,014, r=0,431), lagen 2015 noch immer klinisch grenzwertige bzw. auffällig hohe Ergebnisse vor. Bei acht von 49 Eltern wiesen die Ergebnisse auf Anzeichen für eine Depression hin. Zwei erkrankte Kinder und ein Geschwisterkind erzielten in der Dimension Depression erhöhte Werte.In den Ergebnissen des FB-A war deutlich erkennbar, dass die Mehrheit der einzelnen Gruppen in den einzelnen Dimensionen T-Werte im Normbereich erzielte. Ebenso wurden im zeitlichen Verlauf für die Mittelwerte nur Abnahmen bzw. Anstiege innerhalb des Normbereichs abgebildet. Für die Dimensionen des FB-A wurde im Mittel bei den erkrankten Kindern und gesunden Geschwistern in der Mehrzahl der Dimensionen eine Verbesserung der Werte und für die Mütter ein Anstieg innerhalb des Normbereichs ersichtlich. In den Dimensionen Aufgabenerfüllung und Emotionalität wurde bei den Müttern eine Tendenz zu Problemen, mit signifikant höherem Mittelwert gegenüber der Eichstichprobe nachgewiesen werden. Eine Tendenz zu Stärken entwickelten sie im Bereich der Affektiven Beziehungsaufnahme, was mit einem signifikant niedrigeren Mittelwert nachgewiesen wurde. Bei den Vätern wurden Stärken in Form signifikant niedrigerer Mittelwerte im Vergleich zur Eichstichprobe in Rollenverhalten, Affektive Beziehungsaufnahme und Kontrolle ersichtlich. Für die erkrankten Kinder ließ sich eine Tendenz zu Stärken mit signifikant niedrigerem Mittelwert als die Eichstichprobe in Werte&Normen nachweisen.Mit den Erkenntnissen der Tiefeninterviews konnten Coping-Mechanismen der Familien abgeleitet werden. Es wurde ersichtlich, dass ein Großteil der Familien im Verlauf der Zeit funktionale Coping-Mechanismen aufzeigte. Sie haben einen Weg gefunden mit der Situation umzugehen, Routinen und funktionale Strukturen entwickelt und somit Schritt für Schritt einen Alltag zurückgewinnen können. Bei einigen Familien wurden allerdings auch die jahrelangen Belastungen und negativen Auswirkungen deutlich. Für sie war es nur teilweise möglich, adäquat mit der Situation umzugehen, was sich in dysfunktionalen Coping-Mechanismen wiederspiegelte.Aus der vorliegenden Arbeit werden einerseits die familiären Auswirkungen und Belastungen durch die chronische Erkrankung eines Kindes ersichtlich. Andererseits konnten die individuellen Strategien der Familie im Umgang mit der Erkrankung herausgearbeitet und dargestellt werden. Hieraus konnten wichtige Hilfestellungen und Punkte zur Ausbildung einer adäquaten Bewältigung herausgearbeitet werden, wie eine gute Schulung der Eltern im Katheter-handling, eine fachlich kompetente und interdisziplinäre Behandlung des erkrankten Kindes als auch der Familie, ein funktionales soziales Netzwerk sowie der Austausch mit Betroffenen. Diese Ansätze sollten künftig in der Versorgung einen größeren Stellenwert erhalten. Ferner sollten die psychosozialen Belastungen bedingt durch eine HPE auch in zukünftigen Forschungen mit einem größeren Studienkollektiv weiterverfolgt werden sowie die Ausarbeitung praktischer Implikationen vertieft werden.
Pre-adolescent and adolescent chronic intestinal failure requiring parenteral nutrition can have a broad impact on the entire family. The extensive and time-consuming necessary care may cause limitations, problems, financial hardships and family conflict. A first survey in 2011 already determined how long-term in-home parenteral care of a chronically sick child impacts families. A longitudinal follow-up study now investigated changes in psychosocial impact on the same families between the two measurement intervals, with the goal of identifying potential coping mechanisms and devising practical approaches to counseling and therapy based on the results.Study participants were recruited by phone among members of a parents´ association for chil- dren affected by chronic intestinal failure. Thirty-three out of the forty families initially surveyed in 2011 participated in the 2015 follow-up study. For the quantitative surveys, every family member received an age-appropriate, individualized set of questionnaires by mail. Questionnaires included measures on family communication behaviors (FB-A), attachment capabilities (AAS, TAS), psychological distress (DIKJ, HADS), and psychosomatic symptoms (GBB24, GBB-KJ). To better understand the affected families and their coping strategies, qualitative semi structured in-depth interviews were additionally carried out in fourteen of the surveyed families.The follow-up study could confirm the psychosocial impacts on families found in the first survey. Besides qualitative interview statements that suggest high stress, most study participants also indicated high psychological burden in the GBB-24 questionnaire (T > 50), which was found to be significantly increased for mothers compared to the reference sample (t-test). Sick children and their healthy siblings also indicated a high burden. While the longitudinal investigation showed a slight reduction in psychological stress between groups as measured using average questionnaire responses, both groups still indicated average or above-average levels of distress in 2015 compared to the reference sample. Mothers further indicated high emotional distress and anxiety in the HADS questionnaire. Despite a significant reduction in mean ratings over time (t(30)=2,618, p=0,014, r=0,431), the follow-up sample still included borderline clinical or clinically relevant scores. Eight out of forty-nine parents´ scores suggested signs of depression, as did those of two sick children and one healthy sibling.FB-A results indicated normal range T-scores for most groups in most of the questionnaire dimensions. Increases and decreases over time were limited to the normal range as well. Most FB-A subscales improved over time for affected children and healthy siblings, and mothers´ scores increased within the normal range. The subscales task fulfillment ( Aufgabenerfüllung ) and emotionality ( Emotionalität ) showed significantly higher means for mothers compared to the normative sample, indicating problematic tendencies. However, significantly lower mean ratings for affective relationships ( Affektive Beziehungsaufnahme ) also pointed toward strengths. Fathers showed strengths in role behavior ( Rollenverhalten ), affective relationships ( Affektive Beziehungsaufnahme ), and control ( Kontrolle ), as evidenced by significantly lower average scores compared to the normal range. Finally, affected children displayed a tendency for strengths in the values and norms ( Werte&Normen ) subscale as indicated by significantly lower mean ratings.Analysis of the qualitative in-depth interviews showed that most families demonstrated functional coping strategies over time, finding ways of dealing with the situation, creating functional structures and routines, and step by step reclaiming their daily routines. At the same time, some of the families also showed effects and negative consequences of long lasting psychological strain, only partially adjusting to the situation adequately and showing dysfunctional coping strategies.The present thesis illustrated the strain and burden on the family caused by a child´s chronic illness. On the other hand, the work also highlighted and detailed each family´s individual strategies in dealing with the condition, derived important support strategies, and identified areas where adequate coping strategies can be applied. Examples include educating the parents in proper catheter handling, applying interdisciplinary expertise in treating both the affected child and their family members, building a functional social network, and keeping ongoing communication with affected persons. More emphasis should be placed on these approaches during care in the future. Finally, future research should further investigate the psychosocial strains caused by in-home parenteral nutrition in a larger survey sample, as well as emphasize its practical implications