Christliche Naturdeutungen und neuplatonisch-hermetische Traditionen. Stationen einer Vorgeschichte des literarischen "Symbols" in der Frühen Neuzeit
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Zusammenfassung
Das Symbol ist bis heute kein allgemein anerkanntes Instrument der Textanalyse. Da es mit dem späten Goethe ein "angeschautes Allgemeines" verkörpere, gilt das Symbol oft als unwissenschaftlich. Hier wird ein anderer Ausgangspunkt gewählt: Die Bezüge auf eine zweite Aussageebene sind nicht "naturhaft" in den Dingen enthalten, sondern werden je nach Kontext variierend an sie herangetragen, wie Textbeispiele aus dem 19. u. 20. Jahrhundert zeigen. Erst aus dieser hermeneutischen Perspektive ergibt sich die Frage nach der historischen Bedingtheit der goethezeitl. Symbolvorstellungen: Die entsprechenden Deutungsverfahren entstanden im frühen Christentum u. in neuplatonisch-hermetischen Traditionen der Frühen Neuzeit. Um sie aufzudecken, ist nach den jeweils zugrundeliegenden Denkmustern zu fragen, denn begriffliche Festlegungen dafür fehlen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die beiden Überlieferungsstränge werden zunächst getrennt voneinander untersucht: Nur in einer präzisen Abgrenzung der theolog. u. philosoph. Begründungen, die zu Deutungen der wahrnehmbaren Welt führen, läßt sich der jeweilige Beitrag zu einer Vorgeschichte des literar. Symbols bestimmen. Bereits im Neuen Testament u. in den Apostelbriefen erfüllen die typologischen Auslegungen des Alten Testaments wichtige Bedingungen eines textgebundenen Symbolverständnisses. Diese Grundlage christl. Naturdeutungen, die im Mittelalter auf die gesamte Lebenswelt ausgeweitet werden, ist zu unterscheiden von der paganen Allegorese einem Begriff, der in der Literaturwissenschaft die spätantiken und mittelalterl. Zusammenhänge verunklärt hat. Als frühneuzeitliche Vermittlergestalten des christl. Schöpfungsverständnisses werden u.a. Luther u. Hamann vorgestellt. Luther hat den "geistigen Sinn" des Bibelwortes entgegen einer verbreiteten Forschungsmeinung nicht verworfen, sondern christologisch radikalisiert. So wurde das Wissen um die Deutbarkeit der Welt auch in nicht-kathol. Gebieten weitergetragen. Hamanns Bibelexegesen kommen einer hermeneutisch ausgerichteten Symbolinterpretation sehr nahe. Richtungsweisend für die "Stürmer u. Dränger" wurde die Aesthetica in nuce, in der Hamann für eine (aus seinem Bibelverständnis abgeleitete) "sinnenhafte" Erkenntnis wirbt. Allerdings entwickelt weder er noch Herder, der die Bibel als poetisches Denkmal u. Vorbild versteht, konkrete poet. Verfahren der Symbolfindung. Es bedurfte eines andersgearteten Zugangs zur wahrnehmbaren Welt, um dem Symbol im Goetheschen Sinne zum Durchbruch zu verhelfen. Dieser zweite Strang der Vorgeschichte erscheint komplex, da neuplaton. Gedankengut in der Frühen Neuzeit oft nur indirekt vermittelt wurde u. dabei auf christl. Grundlage mit Philosophemen anderen Ursprungs vermengt war. Die Rezeption und ihre Ergebnisse erschließen sich daher nicht auf den ersten Blick. Um so wichtiger ist es, mit Augustinus den fundamentalen Kontrast zwischen christl. u. platon. Begründungszusammenhängen herauszustellen. Der eigenständigen Bedeutung der dinglichen Welt als der Schöpfung Gottes steht die radikale Abwertung der materialen Erscheinungsformen gegenüber. Aus dem entsprechenden Teil der neuplaton. Kosmologie, der stufenweisen Selbstentfaltung des höchsten Einen in sog. Emanationen, hat der frühneuzeitliche Hermetismus entscheidende Anregungen bezogen. Dabei ist es die christl. Wertschätzung der Dinge, die den Anschluß ermöglicht: In der Betrachtung der Geschöpfe erscheinen Gottes Wesen u. Wirken, seine "Kräfte", nunmehr unmittelbar zugänglich. Die Möglichkeiten zur Ausbildung eines Symbolverständnisses liegen auf der Hand: Mit der Anschauung der Dinge stellt sich für Hermetiker die Frage nach einem geistigen Ursprung, der im Gegenständlichen enthalten ist. Beide Traditionslinien sind in den wissenschaftstheoret. Schriften des Naturphilosophen Bacon noch unterscheidbar. Vor diesem Hintergrund läßt sich das unübersichtl. Gesamtbild des Hermetismus leichter strukturieren, aus den Texten selbst sind die neuplaton. Bestandteile jeweils nur ausschnittsweise zu rekonstruieren. Über mögl. Quellen geben die Autoren keine Auskunft, glaubten sie doch, ihre "Philosophie" aus einer prisca sapientia zu schöpfen. So beruht etwa die Gottsuche des Theosophen Böhme auf dem festen Glauben, daß die "Kräfte der heiligen Welt" die äußere Welt seit ihrer Entstehung durchdringen. Die Naturlehren der sog. Hermetik haben u.a. das "Weltbild des jungen Goethe" entscheidend geprägt. Er u. Moritz stehen als Hauptzeugen für die Übertragung der religiös motivierten Naturdeutungen in den ästhetischen Bereich. Denn nicht nur kunsttheoretische Postulate am Übergang von der Nachahmungs- zur Autonomieästhetik befördern eine Verwendung von Symbolen im innerliterar. Zusammenhang. Bei beiden Autoren finden sich Ansätze zu einer texthermeneutisch nachvollziehbaren Form der Symbolfindung. Der letzte Schritt auf dem Weg zu einer Autonomisierung fehlt allerdings: ein poet. Verfahren, das von Weltanschauungen unabhängig ist.