Interreligiöses Lernen an hessischen Grundschulen aus Sicht islamischer Religionslehrkräfte
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Zusammenfassung
Die Studie untersucht die Bedeutung und Umsetzung interreligiösen Lernens im islamischen Religionsunterricht (IRU) an hessischen Grundschulen aus der Perspektive islamischer Religionslehrkräfte. Die zentrale Forschungsfrage beschäftigt sich damit, ob und wie interreligiöses Lernen im IRU stattfindet, welche Herausforderungen und Chancen es für die Lehrkräfte gibt und wie sich diese auf die pädagogische Praxis auswirken. Dabei werden auch die individuellen Einstellungen der Lehrkräfte gegenüber dem bekenntnisorientierten Unterricht, der in Kooperation mit der DITIB und der Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) durchgeführt wird, sowie deren Erfahrungen in der Vermittlung interreligiöser Toleranz untersucht.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Hauptteile: Im ersten Teil wird der theoretische Rahmen des Themas dargelegt. Es wird erklärt, was unter „Lernen“ und „interreligiösem Lernen“ zu verstehen ist und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind. Anschließend folgt ein Überblick über die Ziele, Inhalte und Methoden des interreligiösen Lernens im schulischen Kontext. Zudem werden Problemfelder und Grenzen thematisiert, die es in der Praxis zu überwinden gilt. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Prämissen eines interreligiösen Lernens aus islamischer Sicht, wobei die Haltung des Korans zu anderen Religionen und Glaubensgemeinschaften sowie relevante religionspädagogische Modelle, wie das Innsbrucker Modell, diskutiert werden. Kapitel drei fokussiert auf den IRU, insbesondere auf das hessische Modell und untersucht, wie interreligiöses Lernen im Kerncurriculum verankert ist. Dabei wird auch die Entwicklung des Faches „Islamische Religion“ in Hessen sowie die Unterschiede zwischen dem IRU und dem seit 2020 alternativ angebotenen Fach „Islamunterricht“ (ISU) analysiert. Abschließend werden Lehrwerke wie „Mein Islambuch“ und „Staunen und Verstehen“ hinsichtlich ihrer Eignung für interreligiöses Lernen untersucht.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich der empirischen Untersuchung, die auf leitfadengestützte Interviews mit islamischen Religionslehrkräften basiert. Die Daten wurden mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring ausgewertet. Aus dem Interviewmaterial wurden sechs Hauptkategorien ermittelt: (1) Aspekte und Perspektiven interreligiösen Lernens, (2) Kontexte interreligiösen Lernens im IRU, (3) Zusammensetzung und Lernausgangslage der Lernenden, (4) Ausbildung, Einstellung, Rolle und Funktion der islamischen Religionslehrkräfte, (5) Effekte interreligiösen Lernens im IRU und (6) Entwicklung und Zukunft des islamischen Religionsunterrichts.
Ergebnisse und Empfehlungen:
1.Kategorie: Aspekte und Perspektiven interreligiösen Lernens
Diese Kategorie behandelt die Bedeutung, Inhalte, Lehrmethoden, Bedingungen und Ziele interreligiösen Lernens, wie sie von den befragten Lehrkräften wahrgenommen werden. Es wird deutlich, dass interreligiöses Lernen als essenzieller Bestandteil des IRU im hessischen Kerncurriculum verankert ist, jedoch in der Praxis große Herausforderungen bestehen, insbesondere durch die Offenheit und Interpretationsfreiheit der Curricula.
2. Kategorie: Kontexte interreligiösen Lernens im IRU
Hier werden die Positionierung und Umsetzung interreligiösen Lernens in den hessischen Kerncurricula und Lehrmaterialien aus Sicht der Lehrkräfte untersucht. Ein zentrales Problem ist die mangelnde Inklusion aller muslimischen Kinder im IRU, die nicht der DITIB-Gemeinde angehören. Zudem wird der Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb der Schule sowie mit außerschulischen Institutionen als verbesserungswürdig erachtet. Der Austausch im Kollegium hängt stark von individueller Initiative ab, und die Zusammenarbeit mit Moscheegemeinden gestaltet sich oft schwierig.
3. Kategorie: Zusammensetzung und Lernausgangslage der Lernenden
Die dritte Kategorie beleuchtet die Zusammensetzung der Lerngruppen und die Einstellung muslimischer Schüler:innen gegenüber anderen Religionen. Es wird deutlich, dass die Heterogenität der Schüler:innen eine Herausforderung für die Lehrkräfte darstellt und spezifische didaktische Ansätze erfordert.
4. Kategorie: Ausbildung, Einstellung, Rolle und Funktion der islamischen Religionslehrkräfte
Ein zentrales Ergebnis ist die Unsicherheit vieler Lehrkräfte im Umgang mit anderen Religionen und innerislamischen Strömungen, was auf eine unzureichende Ausbildung zurückgeführt wird. Die Praxisorientierung der Lehrerausbildung wird als unzureichend kritisiert, und es besteht ein erheblicher Mangel an praxisnahen, interreligiös ausgerichteten Materialien. Zudem wird die Notwendigkeit regelmäßiger, gezielter Fortbildungen hervorgehoben.
5. Kategorie: Effekte interreligiösen Lernens im IRU
Die Hauptkategorie untersucht die Auswirkungen interreligiösen Lernens auf die Schüler:innen, insbesondere im Hinblick auf das Bewusstsein einer Religionszugehörigkeit und die Chancen, die der IRU für die Förderung interreligiösen Dialogs bietet. Es wird deutlich, dass interreligiöses Lernen das Potenzial hat, das Verständnis und die Toleranz gegenüber anderen Religionen zu fördern, jedoch von der Lehrkraft stark abhängig ist.
6. Kategorie: Entwicklung und Zukunft des islamischen Religionsunterrichts
In dieser Kategorie berichten die Lehrkräfte über ihre Erwartungen und Einschätzungen zur zukünftigen Entwicklung des IRU. Die meisten Befragten befürworten die Fortführung eines islamischen Religionsunterrichts, unabhängig davon, ob dieser islamkundlich oder bekenntnisorientiert gestaltet ist. Dabei wird die Bedeutung einer inklusiven und differenzierten Herangehensweise betont.
Die Analyse zeigt, dass interreligiöses Lernen im islamischen Religionsunterricht fest verankert ist. Dennoch besteht Optimierungsbedarf, insbesondere hinsichtlich der Offenheit und Interpretationsfreiheit der Curricula, die für die Lehrkräfte eine Herausforderung darstellt. Die Zusammenarbeit und der Austausch im Kollegium sowie mit außerschulischen Institutionen sind entscheidende Faktoren für den Erfolg interreligiösen Lernens. Es zeigt sich jedoch, dass dieser Austausch oft von individueller Initiative der Lehrkräfte abhängt und durch Sprachbarrieren sowie mangelnde Unterstützung von außen erschwert wird.
Ein zentrales Problem, das in den Interviews deutlich wird, ist die unzureichende Vorbereitung der Lehrkräfte auf den interreligiösen Dialog, was auf eine unzureichende Praxisorientierung in der Ausbildung zurückzuführen ist. Zudem fehlt es an praxisnahen, interreligiös ausgerichteten Lehrmaterialien. Einige Lehrkräfte betonen jedoch die Bedeutung von Dialog und persönlicher Interaktion gegenüber einem Überangebot an Materialien. Es besteht auch ein großer Bedarf an gezielten Fortbildungen, die auf die spezifischen Bedürfnisse islamischer Religionslehrkräfte ausgerichtet sind.
Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass der IRU vor der Herausforderung steht, didaktisch und inhaltlich auf die Anforderungen einer multireligiösen Gesellschaft zu reagieren. Dies erfordert eine bessere Vorbereitung der Lehrkräfte, eine intensivere Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb der Schule sowie die Entwicklung geeigneter Lehrmaterialien. Der Erfolg des interreligiösen Lernens hängt maßgeblich von der Qualität der Lehrerausbildung und der Verfügbarkeit adäquater Ressourcen ab. Abschließend wird empfohlen, den IRU weiterzuentwickeln, um zu einer Bildung beizutragen, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch zur sozialen Kohäsion und zum friedlichen Zusammenleben in einer multireligiösen Gesellschaft beiträgt.