Erhebungen zum Arzneimitteleinsatz bei Lebensmittel liefernden Tieren: mögliche Konsequenzen für die Umwelt?
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Zusammenfassung
Arzneimittel spielen eine zentrale Rolle bei der Sicherung der Lebensqualität von Mensch und Tier. Sie werden sowohl in der Human- als auch in der Tiermedizin erfolgreich eingesetzt. Durch den Einsatz von Arzneimitteln können Wirkstoffe und Metabolite aber auch auf verschiedenen Wegen in die Umwelt gelangen. Humanarzneimittel finden dabei vor allem über die Kanalisation und Kläranlagen ihren Weg in die Oberflächengewässer, während Tierarzneimittel über Wirtschaftsdünger auf Flächen und Böden gelangen. Die unterschiedlichen Eintragspfade werden auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, die ein Wirkstoff im Rahmen der Zulassung eines Arzneimittels durchläuft, berücksichtigt. So wird bei Humanarzneimitteln vor allem die Toxizität für Wasserorganismen und bei Tierarzneimitteln für Bodenorganismen untersucht. Weltweit gibt es über 2.000 Veröffentlichungen, die das Vorkommen von Arzneimitteln in der Umwelt dokumentieren. Zudem gibt es Studien, die die negativen Auswirkungen von Arzneimitteln auf Umweltorganismen beschreiben, wie zum Beispiel eine verminderte Fortpflanzungsfähigkeit bei Fischen. Darüber hinaus können Resistenzen gegen Antibiotika oder Antiparasitika entstehen, die ebenfalls negative Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt haben können.
Auf europäischer und nationaler Ebene gibt es einige klare rechtliche Vorgaben für die zentralisierte Dokumentation der Abgabe von Arzneimitteln an Tierarztpraxen und des Einsatzes bei Tieren. Zudem werden europaweit Daten zum Antibiotikaeinsatz erhoben und Maßnahmen ergriffen, um deren Einsatz zu reduzieren. Für andere Arzneimittelgruppen, wie Antiphlogistika oder Antiparasitika hingegen, liegen in Deutschland und anderen europäischen Mitgliedstaaten jedoch keine zentral erfassten systematischen Daten zum Einsatz bei landwirtschaftlichen Nutztieren vor. Daher können aufgrund fehlender Kenntnisse über eingesetzte Mengen von Arzneimitteln in der Tiermedizin bislang keine Umweltfolgen abgeschätzt werden.
Das Ziel dieser Dissertation bestand daher darin, den Einsatz von Arzneimitteln auf landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland zu erfassen und zu analysieren, um anschließend mögliche Umweltfolgen zu beurteilen.
Um den Arzneimitteleinsatz bei Milchkühen zu beschreiben, wurden für die Publikation 1 Daten von 50 Milchviehbetrieben in Deutschland erhoben und analysiert. Die am häufigsten verwendete Wirkstoffgruppe sind Antibiotika (40,13 %), gefolgt von Antiphlogistika (18,86 %), Antiparasitika (13,09 %) und Hormonen (9,29 %). Die Therapiehäufigkeiten der Betriebe reichen von 0,94 bis 21,69 Tagen pro Jahr und sind ungleichmäßig auf die Betriebe verteilt. Im Jahr 2020 wurde eine Kuh durchschnittlich an 6 Tagen behandelt: 2,34 Tage mit Antibiotika, 1,07 Tage mit Antiphlogistika, 0,76 Tage mit Antiparasitika und 0,41 Tage mit Hormonen. Als Faktoren, die den Arzneimitteleinsatz beeinflussen, konnten das Vorhandensein eines tierärztlichen Betreuungsvertrags, hohe Milchleistung, Weidehaltung, Nutzungsdauer, die Betriebsgröße sowie die Nutzung eines Klauenbads identifiziert werden.
In Publikation 2 wurden Daten von 129 landwirtschaftlichen Betrieben, die Rinder, Schweine oder Hühner halten, in neun Bundesländern für das Jahr 2020 erhoben und auf die gesamte deutsche Tierhaltung hochgerechnet. Insgesamt wurden 162 verschiedene Wirkstoffe mit einer Gesamtmenge von 1.368 Tonnen identifiziert. Mengenmäßig waren Antibiotika, Elektrolyte, Antiphlogistika, Kohlenhydrate und Antiparasitika am bedeutendsten. Die Tierarzneimitteldaten wurden nach dem One-Health-Ansatz mit Daten zum Einsatz von Arzneimitteln in der Humanmedizin aus demselben Jahr ergänzt. Dabei zeigte sich, dass der Antibiotikaeinsatz in Human- und Tiermedizin weitgehend ausgeglichen ist, die Verteilung der Wirkstoffgruppen jedoch unterschiedlich ausfällt. Antiphlogistika und Hormone werden überwiegend in der Humanmedizin verwendet, während Antiparasitika vor allem in der Tiermedizin eingesetzt werden. Ein Abgleich der erhobenen Wirkstoffe mit Umweltfunden ergab, dass 274 Human- und 46 Tierarzneimittel in der Umwelt nachgewiesen wurden. Eine Umweltrisikobewertung konnte aufgrund fehlender Daten lediglich für einen kleinen Teil der Wirkstoffe, insgesamt 41 Substanzen, durchgeführt werden. Bei 12 dieser Wirkstoffe, darunter Ethinylestradiol, Ibuprofen, Diclofenac und Ivermectin, wurde ein hohes Umweltrisiko festgestellt, während andere, wie Tetracyclin und Sulfadiazin, als ökologisch unbedenklich eingestuft wurden.
Diese Arbeit zeigt, dass die Erhebung von Arzneimitteldaten auf freiwilliger Basis qualitativ hochwertige Daten liefert. Staatliche Erhebungen, die in letzter Konsequenz auf eine Minimierung des Arzneimitteleinsatzes abzielen, kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Auf lange Sicht ist die stetige Minimierung des Arzneimitteleinsatzes jedoch nicht grundsätzlich mit dem Tierwohl vereinbar, da kranke Tiere behandelt werden müssen. Die Einbeziehung von Tierwohlparametern in Monitoringsysteme ist daher zu empfehlen. Ein bewusster Arzneimitteleinsatz bleibt dennoch und insbesondere in Bezug auf Umweltfolgen wichtig. Nur ist die Datenlage zur Bewertung dieser Umweltfolgen noch unvollständig: Es mangelt an Informationen über die tatsächliche Ausscheidungsmenge einzelner Wirkstoffe, die spezifische Toxizität der Wirkstoffe sowie die Wirkungen von Wirkstoffgemischen in der Umwelt. Diese Arbeit zeigt erste Umweltrisikobewertungen für einzelne Wirkstoffe und hebt insbesondere Wirkstoffe mit einem hohen Risiko hervor.
In den kommenden Jahrzehnten ist aufgrund der alternden Bevölkerung ein weiterer Anstieg des Arzneimittelverbrauchs, insbesondere in der Humanmedizin, zu erwarten. Dies könnte auch eine zunehmende Gefahr für die Umwelt darstellen, wenn keine geeigneten Maßnahmen zur Kontrolle und Reduktion von Arzneimittelemissionen ergriffen werden. Es bedarf daher weiterer umfassender Datenerhebungen und Forschungsanstrengungen zu den Umweltwirkungen von Arzneimitteln sowie einer integrierten Betrachtung von Human- und Tierarzneimitteln im Sinne des One-Health-Ansatzes, um geeignete Schutzmaßnahmen zur Minimierung der Risiken für Mensch, Tier und Umwelt zu entwickeln.