Psychische Auffälligkeiten und Lebensqualität von Kindern psychisch erkrankter Eltern im Vergleich zu einer klinischen Referenzgruppe und Kindern der Normalbevölkerung
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Zusammenfassung
Derzeit leben in Deutschland 3 bis 4 Millionen Kinder psychisch erkrankter Eltern (Wiegand-Grefe und Petermann 2016). Diese sind starken psychischen Belastungen ausgesetzt und gelten aufgrund ihrer genetischen und psychosozialen Belastungen als Hochrisikogruppe, selbst zu erkranken. Obwohl in den letzten Jahren die besondere Belastung der Kinder psychisch erkrankter Eltern erkannt wurde, fehlen in der Fachliteratur Studien, die die Verhaltensauffälligkeiten von Kindern psychisch erkrankter Eltern herausarbeiten und von der Situation von „gesunden“ Kindern der Normal-bevölkerung, aber auch von Kindern mit gesicherter Diagnose einer psychischen Erkrankung abgrenzen. Die vorliegende Arbeit sollte diese Lücke schließen und die genannten Vergleiche anstellen. Zur Erfassung der Verhaltensauffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter wurde die Child Behavior Checklist (CBCL/4-18) verwendet. Hierfür existieren bereits zwei große repräsentative Referenzstichproben für psychisch erkrankte Kinder der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Klinikstichprobe) sowie für gesunde Kinder der Normalbevölkerung (Feldstichprobe).
In Form einer explorativen Interviewstudie wurden psychisch erkrankte Eltern während eines psychiatrischen Klinikaufenthaltes zu ihren Kindern im Alter von 4 bis 18 Jahren befragt. Die insgesamt 364 mittels CBCL erhobenen Datensätze zu Verhaltensauffälligkeiten wurden unter Berücksichtigung von Geschlecht und Altersgruppen im Gruppenvergleich mit den zwei publizierten Referenzstichproben (Klinikstichprobe und Feldstichprobe) differenziert nach Syndrombereichen analysiert. Die mittels KINDL gemessene Lebensqualität wurde für insgesamt 285 Fälle deskriptiv beschrieben.
Das Ziel der vorliegenden Studie war es, durch Darstellung der psychischen Auffälligkeiten der Kinder psychisch erkrankter Eltern gegenüber manifest erkrankten Kindern und Kindern der Normalbevölkerung, Hinweise auf den speziellen Präventionsbedarf von Kindern psychisch kranker Eltern zu finden. Durch die differenzierte Erfassung der psychischen Auffälligkeiten sollte explorativ untersucht werden, ob bestimmte Syndrom- und Beschwerdebereiche für Kinder psychisch erkrankter Eltern besonders empfindlich waren beziehungsweise in welchen Symptombereichen Kinder psychisch kranker Eltern vor allem betroffen waren. So sollten Schlussfolgerungen gezogen werden, welche Art der Prävention (universelle, selektive oder indizierte Prävention) bei Kindern psychisch kranker Eltern notwendig ist. Die Erfassung der Lebensqualität kann als Hinweis auf Beeinträchtigungen der Bewältigung von schwierigen Lebensumständen, emotionalen Belastungen und als eine wichtige Ergänzung einer reinen Betrachtung der Symptomatik aufgefasst werden.
Obwohl Limitationen aufgrund des Studiendesigns zu berücksichtigen sind, eröffnet die vorliegende Studie wertvolle Einblicke zu Verhaltensauffälligkeiten und zur Lebensqualität der Kinder psychisch erkrankter Eltern. Unsere Daten belegen, dass diese Kinder höhere Belastungswerte aufweisen als Kinder einer „gesunden“ Feldstichprobe, während bereits erkrankte Kinder der Kinder- und Jugendpsychiatrie höhere Belastungswerte als Kinder psychisch erkrankter Eltern haben. Die Gruppe der vorliegenden Studie liegt bildlich gesprochen zwischen den Ausprägungen der
Klinikstichprobe und der Feldstichprobe. Bereiche, in denen Kinder psychisch erkrankter Eltern sogar auffälliger als bereits verhaltensauffällige Kinder sind, sind auf den „sozialen Rückzug“ bei den 4- bis 6-jährigen Jungen begrenzt. Hinzu kommen die 4- bis 6-jährigen Mädchen, die sich in dem Bereich „Aufmerksamkeitsstörung“ vergleichsweise wenig von der Klinikstichprobe unterscheiden sowie die 14- bis 18-jährigen Mädchen, die sich in dem Bereich „aggressives Verhalten“ vergleichsweise wenig von der Klinikstichprobe unterscheiden. Diese Befunde liefern Hinweise auf Unterstützungsbedarfe in den Bereichen „internalisierende und externalisierende Verhaltensweisen“, die für Interventionen für Kinder psychisch erkrankter Eltern genutzt werden könnten.
In Bezug auf die Lebensqualität zeigten die jüngeren Kinder eine höhere Lebensqualität als die älteren. Eine Ausnahme bildete die Skala „Selbstwert“ und „Freunde“, in denen die älteren Kinder eine höhere Lebensqualität zeigten als die jüngeren. Die Jungen hatten eine höhere Lebensqualität in dem Bereich „körperliches Wohlbefinden“ im Vergleich zu den Mädchen, für die übrigen Bereiche zeigten sich keine Geschlechtsunterschiede. Eine geringere Lebensqualität zeigte sich deskriptiv im Bereich „Selbstwert“ für alle Altersgruppen, wobei diese in der jüngsten Altersgruppe am
geringsten ausgeprägt war.
Diese Studie konnte Hinweise auf selektiven sowie teils indizierten Präventionsbedarf bei Kindern psychisch erkrankter Eltern zeigen.