Depressions-Memoirs: Selbst- und Kulturreflexionen in deutsch- und englischsprachigen autobiographischen Erzählungen des 21. Jahrhunderts
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Zusammenfassung
Diese Dissertation befasst sich mit dem literarischen, nicht-fiktionalen Genre des Depressions-Memoirs im 21. Jahrhundert. Depressions-Memoirs sind autobiographische Erzählungen, in denen Betroffene eine depressive Erkrankung aus der Retrospektive schildern. Das heutzutage sowohl auf der Produktions- als auch auf der Rezeptionsseite populäre Genre hat sich in den USA seit den 1990er Jahren und in Europa seit der Jahrtausendwende herausgebildet. Im Rahmen der theoretischen Auseinandersetzung wird der Genrebegriff des Memoirs im Deutschen anschlussfähig gemacht und das Depressions-Memoir in den Feldern des Life Writing und der Krankheitserzählungen verortet. Es werden vielschichtige Herausforderungen des Erzählens über Depressionen herausgearbeitet, die Strukturen und Charakteristika des Depressions-Memoirs erörtert und das Genre wird hinsichtlich seiner Potenziale der Selbst- und Kulturreflexionen abgesteckt. Die theoretischen Überlegungen werden in einem Kategorisierungs- und Analysemodell synthetisiert, das die heuristische Linse für die Analyse von je drei deutschen und britischen Depressions-Memoirs als Kernkorpus der Studie bildet: Sally Bramptons "Shoot the Damn Dog" (2008), Jana Seeligs "Minusgefühle" (2015), Benjamin Maacks "Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein" (2020), Matt Haigs "Reasons to Stay Alive" (2015), Alastair Campbells "The Happy Depressive" (2012) und Nora-Marie Ellermeyers "Lebensnebel" (2018). Mit einem kulturwissenschaftlich-narratologischen Ansatz wird analysiert, welche Themen die Memoiristinnen fokussieren, mit welchen narrativen Strategien die Depressionserkrankungen auf der histoire- und discours-Ebene (re-) konstruiert werden und welche individuelle, kulturelle und diskursive Reflexionsarbeit in den ausgewählten Depressions-Memoirs wirksam wird. Die Erkenntnisse der Studie umfassen u.a., dass Depressions-Memoirs a) mit unterschiedlichen Strategien zu einem tieferen Verständnis von Depressionserkrankungen beitragen; dass sie b) die Depression als individuelle und kulturelle Analyselinse produktiv machen; und dass sie c) einen kulturellen Reflexionsraum darbieten, in dem Fragen nach dem Umgang mit Depressionen und nach einem guten Leben ausgehandelt werden können. Durch ihre expliziten kommunikativen Akte stellen sie oftmals Anti-Depressions-Memoirs dar: Memoiristinnen adressieren sich mit dem Zeugnis ihrer gegenwärtigen Genesung selbst; sie adressieren Leidensgenoss*innen, um ihnen Trost und Hoffnung zu schenken; sie adressieren Nicht-Betroffene mit Angeboten für die Unterstützung von unter Depressionen leidenden Menschen; und sie setzen sich zum Ziel, gesellschaftliche Enttabuisierungs-, Entstigmatisierungs- und Edukationsprozesse voranzutreiben.