Erste parasitologische Untersuchungen bei der synanthropen Nilgans (Alopochen aegyptiaca) in Deutschland und ihre Bedeutung als Neobiont

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2024

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Seit spätestens dem Aurignacien vor ca. 40.000 bis 31.000 Jahren führt der Mensch (Homo sapiens) auf seinen Wanderbewegungen über die biogeografischen Grenzen hinweg in einem immer schnelleren Tempo Tiere und Pflanzen in stetig steigender Zahl mit sich (Pongsiri et al. 2009; Broodbank 2018). Die Etablierung von gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten (i. e. Neobiota) gilt angesichts ihrer vielfältigen ökologischen Auswirkungen als eine der größten Bedrohungen für die weltweite Biodiversität (Cornet et al. 2016; Blackburn et al. 2009; Lee und Klasing 2004). Gebietsfremde Arten können Parasiten aus ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten in die neu besiedelten Lebensräume mitbringen, wo sie ebenfalls einer Vielzahl von für ihr Immunsystem neuen Pathogenen ausgesetzt sind. Die Interaktionen zwischen der Wirtspopulation und den Makro- bzw. Mikroparasiten nehmen Einfluss auf den Ausbreitungs- und Etablierungsprozess einer gebietsfremden Art (Drake 2003; Gethings et al. 2016; Torchin et al. 2001).
In der vorliegenden Arbeit wird die synanthrope Nilgans (Alopochen aegyptiaca) als exemplarisch für eine gebietsfremde Vogelspezies in Mitteleuropa vorgestellt und es werden die sie befallenden gastrointestinalen Endoparasiten untersucht. Diese synanthropen Halbgänse leben unter anderem in Parkanlagen, in Freibädern und auf Golfplätzen in der unmittelbaren Umgebung von Menschen, weshalb auch das Risiko einer von Salmonella spp. verursachten Anthropozoonose eingeschätzt wurde.
Die Nilgans ist in Mitteleuropa ein Neozoon. Diese Spezies wurde im 17. Jahrhundert nach England eingeführt, wo sie als Ziergeflügel in Parkanlagen gehalten wurde. Während die auf Parkflüchtlinge zurückgehende Nilganspopulation in Europa sich anfänglich nur sehr langsam ausbreitete (Lensink 1998; Sutherland und Allport 1991), hat sie sich hierzulande mittlerweile zu der am schnellsten expandierenden Wasservogelspezies entwickelt (Huysentruyt et al. 2022).
Für die vorliegende Studie wurden im Zeitraum zwischen Januar 2020 und Juni 2021 178 wild lebende Nilgänse in ihrem Habitat aufgespürt und 148 Kotproben gesammelt (n = 148). Diese Kotproben wurden in sieben deutschen Bundesländern gesammelt und auf parasitäre Zwischenstadien untersucht, wobei die Natriumacetat-Essigsäure-Formalin-Technik (SAF-Technik), modifiziert mit Essigsäureethylesther, zur Anwendung kam. Im genannten Zeitraum wurden auch 114 geschossene oder verendete Tierkörper aus fünf deutschen Bundesländern post mortem auf Adult- und Zwischenstadien von Endoparasiten untersucht (n = 114). 83 Kotproben, 30 Socktupferpaare sowie 25 Blinddärme von frisch geschossenen Nilgänsen wurden auf Salmonella spp. untersucht (n = 138), wobei das Verfahren nach ISO 6975 (2017) und eine Kombination aus Voranreicherung und spezifischer kommerzieller PCR (Zulassungsnummer FLI-B-656) zur Anwendung kamen. Diese Proben stammten aus fünf Bundesländern. Dabei wurden auch Kotproben in 14 Freibädern gesammelt, welche regelmäßig von Nilgänsen aufgesucht wurden: So konnte dann in vitro getestet werden, ob die im Kot ausgeschiedenen Stämme von Salmonella enterica (subsp. enterica Serovar Anatum) im Schwimmbadwasser, das nach DIN 19643 mit Chlorgas behandelt worden war, infektiös blieben. Ferner wurden 100 Proben auf Cryptosporidium spp. untersucht, wobei Mikroskopie, Koproantigen-ELISA und ein kommerzielles PCR-Kit zum Einsatz kamen. Im Zuge der vorliegenden Studie wurden insgesamt 13 verschiedene mehrzellige Endoparasiten mittels Koproskopie und Sektion von Tierkörpern nachgewiesen. Im Fall von Echinostoma revolutum wurde die Speziesdiagnose mittels Sequenzierung eines Teils des ND1-Gens und des COX1-Gens gestellt. Hystrichis tricolor, ein in Mitteleuropa selten vorkommender Endoparasit des Proventriculus, wurde molekularbiologisch mittels Sequenzierung eines Teils des 18S-Gens identifiziert.
Es wurden signifikante Unterschiede bei den Prävalenzen zwischen den im urbanen Raum und den in periurbanen Gebieten lebenden Nilgänsen festgestellt. Es wurden auch geografische Zonen ausgemacht, in denen bestimmte Endoparasitenspezies öfter als in anderen Gebieten gefunden wurden, was möglicherweise Hinweise auf das Migrationsverhalten der Nilgans in Mitteleuropa liefern könnte. Es wurden patente Infektionen bei Alopochen aegyptiaca für die Endoparasiten Hystrichis tricolor, Echinuria uncinata, Porrocaecum spp. und Echinostoma spp., nachgewiesen. Daraus kann geschlossen werden, dass diese indigenen Endoparasiten den gebietsfremden Wirtsorganismus Alopochen aegyptiaca nicht nur infizieren, sondern zudem auch in der Lage sind, sich in diesem fortzupflanzen und über diesen dann dessen Artgenossen sowie andere Wasservogelarten und Säugtiere zu infizieren. Bei Infektionen mit den indigenen Endoparasiten H. tricolor und E. uncinata zeigten histologische Untersuchungen, dass die infizierten Nilgänse an einer schweren Entzündung des Drüsenmagens (Proventriculus) litten. Chronische Entzündungsprozesse kosten den Wirtsorganismus Ressourcen und verringern somit seine biologische Fitness. Da der Nachweis erbracht wurde, dass Nilgänse die genannten Parasiten übertragen, ergibt sich ganz klar ein weiterer Forschungsbedarf hinsichtlich eines potenziellen „Spillback-Effekts“ auf einheimische Wassergeflügelarten wie Stockenten (Anas platyrhynchos), Blässhühner (Fulica atra) und Teichhühner (Gallinula chloropus).
Vorbehaltlich einiger Einschränkungen lassen sich die in der vorliegenden Studie festgestellten Prävalenzen von Endoparasiten bei Alopochen aegyptiaca mit jenen in Untersuchungen von einheimischem Wassergeflügel wie Anas platyrhynchos vergleichen: Im Durchschnitt ist die Nilgans offenbar seltener und mit einer geringeren Bandbreite an Endoparasitenspezies infiziert als die in ähnlichen Habitaten lebende Stockente. Schließlich zeigte die vorliegende Studie, dass das Risiko einer Anthropozoonose durch Erreger wie Salmonella spp., Cryptosporidium spp., Giardia spp., Toxoplasma gondii und Echinostoma spp. offenbar nur sehr gering ist, da in den untersuchten Proben keiner dieser Erreger nachgewiesen wurden. Allerdings konnte hier gezeigt werden, dass Salmonella enterica (subsp. enterica Serovar Anatum) bis zu 180 Minuten lang in chloriertem Schwimmbadwasser überleben konnte und entsprechend infektiös blieben. Das mit Nilgänsen verbundene Risiko einer Echinostomiasis für Badegäste an Süßwasserseen oder Teichen ist aber nicht sehr hoch, da Menschen in Deutschland in der Regel keine ungekochten Süßwasserschnecken konsumieren.

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Gießen: DVG Service GmbH, 2024

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