Das "Dritte Rom" : Zerstörung und Konstruktion von Geschichte im Dienste nationaler Erinnerung, 1870-1950
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Zusammenfassung
Mit dem Einmarsch der italienischen Truppen in Rom im Jahre 1870 und dem Ende der weltlichen Herrschaft des Papsttums begann eine Phase radikaler Umgestaltung der städtebaulichen Substanz Roms. In einer ersten Phase realisierte der liberale Nationalstaat seine Vorstellung eines modernen und monumentalen Roms und schuf innerhalb der wesentlich durch kirchliche Symbole definierten Stadt die Kapitale der geeinten Nation. Der Umbauprozess setzte sich nach dem politischen Systemwechsel 1922 fort. Der Machtübernahme Mussolinis und der Umwandlung Italiens in eine faschistische Diktatur folgte die Schaffung einer Roma di Mussolini nach einem von Mussolini höchst persönlich vorangetriebenem Programm. Erst 1950, mit der Fertigstellung bereits in faschistischer Zeit initiierter Großbauvorhaben, endete der Prozess, der bis heute das Stadtbild prägt. Die mit dem Ausbau der Stadt zur Millionenmetropole verbundene Zerstörung vorhandener städtebaulicher Substanz war einerseits Modernisierungsvorhaben geschuldet, andererseits verfolgte der Staat vehement das Projekt, durch monumentale Repräsentationsarchitektur- und Denkmalsvorhaben identitätsstiftende Orte nationaler Erinnerung zu schaffen. Bau- und Denkmalspolitik waren dabei eng mit dem Rückbezug auf das antike Rom verbunden. Über die ideelle, architektonische und städtebauliche Erinnerung an die ehemalige Größe Roms, die als Romidee oder romanità bezeichnet werden, sollte das politische Potential der Nation verdeutlicht werden. Der Bau des Nationaldenkmals für Vittorio Emanuele II. und die daran anschließenden städtebaulichen Modifikationen im direkten Denkmalsumfeld waren das eingreifendste Vorhaben. Das zur nachhaltigen Erinnerung an die Verdienste der Monarchie für die nationale Einheit geplante Denkmal wurde bewusst in nächster Nähe des antiken Stadtzentrums, des Kapitolshügels, erbaut, trotz der mit dem Bau verbundenen archäologischen Flurschäden. Mit der zunehmenden Bedeutung des Denkmals als eines konsensfähigen Orts nationaler Erinnerung, die durch die Beisetzung des Unbekannten Soldaten um den Kontext der mit dem I. Weltkrieg verbundenen Erinnerung erweitert wurde, avancierte das Denkmal insbesondere nach der Machtübernahme des Faschismus zum Zentrum politischer Kommemorationsfeiern. Durch die Verlegung des Amtssitzes Mussolinis in den direkt gegenüber dem Nationaldenkmal gelegenen Palazzo Venezia wurden das politische Zentrum des Faschismus und das erinnerungskulturelle Zentrum der Nation in einen ideologischen Sinnzusammenhang gestellt. Unter diesem Aspekt ist auch der Ausbau der Piazza Venezia zu einem städtebaulichen Knotenpunkt zu sehen. Über eine rein städtebauliche Notwendigkeit hinaus wurde ein modernes Forum geschaffen, das Ort der Kommunikation zwischen Führer und Masse und somit politisches und symbolisches Zentrum der Nation wurde. Der mit radikalen Zerstörungsmaßnahmen verbundene Bau der Via dell´Impero verband das Nationaldenkmal und das Kolosseum als städtebauliche Solitäre miteinander. Ebenso wurden über die Via dell´Impero das Forum Romanum und die in faschistischer Zeit aus der nachantiken Überbauung herauspräparierten Kaiserforen für das Stadtbild erschlossen. So entstand die städtebauliche Symbiose eines antiken und modernen Roms. Zum einen ist sie als Akt der Adaption der architektonischen Zeugen antiker Größe zur Legitimitätsbehauptung faschistischer Expansionspolitik zu deuten. Zum anderen ist diese Erinnerungsfigur in Relation zum Kult des Unbekannten Soldaten zu sehen. Er wurde als Symbol des siegreichen nationalen Opfers zum Anfangspunkt eines neuen Weges zu nationalem Ruhm stilisiert. Durch weitere Systematisierungsarbeiten um das Kolosseum und die Anlage der Via Imperiale wurde der begonnene Weg über die Stadtgrenze hinaus bis hin zum Mittelmeer ausgebaut. Durch diese städtebaulichen Maßnahmen gelang die Inszenierung des historischen Weges von einer erfolgreich aus dem I. Weltkrieg hervorgegangenen Nation hin zu einer neuen Macht am Mittelmeer als sinnfälliges Kontinuum. Die Analyse der Entwicklung des Nationaldenkmals und der Modifikationen des umgebenden städtebaulichen Kontextes belegt einen Paradigmenwechsel von nationalstaatlicher zu faschistischer Zeit. In nationalstaatlicher Zeit war trotz der folgenreichen Standortentscheidung das grundlegende Mittel zur Konstruktion nationaler Erinnerung die architektonisch-künstlerische Denkmalsgestaltung. Hingegen ist in faschistischer Zeit die ausufernde Nutzung des Erinnerungsortes in kommemorativen Ritualen das konstruktive Element der nationalen Erinnerung. Nicht mehr den Ort, sondern den zur Inszenierung dieser Rituale notwendigen Raum galt es zu gestalten, ein für die Stadtstruktur im Denkmalsumfeld folgenreiches Phänomen. Um das Denkmal herum entstand durch Zerstörung von Geschichte eine monumentale Leere, die nur im Rahmen politischer Feiern gefüllt wurde. Mit dem Ende des Faschismus löste sich dieser anschauliche Zusammenhang auf.