Beiträge zur Popularmusikforschung 13 (1994)
Dauerhafte URI für die Sammlung
Musik der Skinheads und ein Gegenpart: die "Heile Welt" der volkstümlichen Musik
Herausgeber: Helmut Rösing; Arbeitskreis Studium Populärer Musik e.V.
Baden-Baden: CODA-Verlag, 1994
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:26-opus-51639
Zusammenfassung:
Wundersame ebenso wie verheerende Wirkungen sind Musik zu allen Zeiten und immer wieder nachgesagt worden, seit den Gewaltüberfällen auf Ausländer- und Asylantenheime steht die 01-Musik der Skinheads auf dem Index. Sie sei, so Wolfgang Leuschner vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut, destruktiv, stelle eine Art von "psychologischer Bewaffnung" dar und diene als gezielt eingesetztes Mittel dem "Tabubruch". In dem Film "Apocalypse Now" allerdings fungiert Wagners Walkürenritt als Fanal des Angriffs, und zur Zeit des Nationalsozialismus sollten Märsche, Kampflieder und Durchhalteschlager die rechte Gesinnung in des Wortes doppelter Bedeutung fördern. Keine Frage, das Phänomen, um das es hier geht, hat eine weitreichende historische Dimension.
Bezogen auf die "Alltagskultur der Skinheads" ist es ein Hauptanliegen von Erika Funk-Hennigs, an Stelle einer pauschalisierenden Verurteilung erst einmal Verständnis gegenüber der Lebenswelt dieser rechtsorientierten Jugendlichen zu schaffen, von denen neuesten Analysen zufolge knapp 40 Prozent gewalttätig sind. Die Dekonstruktion von Individuen und das Schaffen von normativen Gruppenzwängen erfolgt mit der Hilfe ritualisierter Handlungsabläufe. Vor allen die rechtsradikalen Texte spielen hier eine zentrale Rolle für die situative Entwicklung von Gewaltbereitschaft, in Verbindung mit Alkohol und durch das gemeinsame Singen (zumindest im Refrain) können sie wie eine Droge wirken.
Eine milde Droge sind demgegenüber die volkstümliche, besser "volkstümelnde" Musik und der seit Mitte der 80er Jahre sich zunehmender Publikumsgunst erfreuende volkstümliche Schlager. In den Fernsehprogrammen wird er auf die besten Sendezeiten plaziert, 124 mal im Jahr 1991, mit immer noch steigender Tendenz. Hier wird - ganz anders als bei den Skinheads - Realitätsflucht betrieben: Liebe, Heimat, Natur, Religiosität gelten als echte, wahre Werte, sie sind, wie Mechthild von Schoenebeck an ausgewählten Beispielen belegt, im musikalischen "Heile-Welt-Idiom" ausgeterzt und in technischer Perfektion auch visuell inszeniert.
Als "Modellfall" für Formelhaftigkeit und Nicht-Individualität analysiert Hanns-Werner Heister den Erfolgsschlager "Patrona Bavariae" des Naabtal-Duos und interpretiert ihn im Sinne von reaktionärer politischer Besetzung und Indienstnahme. Hier, in diesem reaktionären Potential, liegt ein gemeinsamer Nenner von Skinhead-Musik und ihrem vermeintlichen Gegenpart, der volkstümelnden Musik. Mit einem grundlegenden Unterschied allerdings: An die Stelle von Aggression tritt Regression. Als mögliche Alternative stellt Heister den Wiener Liedermacher Rudi Burda vor, dessen unbekümmerte und gegen den Strich des Erwarteten gebürstete Aneignung der verschiedenen Stile traditioneller populärer Musik zum Nachdenken, Überdenken, Mitdenken auffordert. Schöner noch, so Burda, wäre das Handeln, aber dazu müsse "mehr erfunden werden als eine Handvoll Lieder".
Herausgeber: Helmut Rösing; Arbeitskreis Studium Populärer Musik e.V.
Baden-Baden: CODA-Verlag, 1994
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hebis:26-opus-51639
Zusammenfassung:
Wundersame ebenso wie verheerende Wirkungen sind Musik zu allen Zeiten und immer wieder nachgesagt worden, seit den Gewaltüberfällen auf Ausländer- und Asylantenheime steht die 01-Musik der Skinheads auf dem Index. Sie sei, so Wolfgang Leuschner vom Frankfurter Sigmund-Freud-Institut, destruktiv, stelle eine Art von "psychologischer Bewaffnung" dar und diene als gezielt eingesetztes Mittel dem "Tabubruch". In dem Film "Apocalypse Now" allerdings fungiert Wagners Walkürenritt als Fanal des Angriffs, und zur Zeit des Nationalsozialismus sollten Märsche, Kampflieder und Durchhalteschlager die rechte Gesinnung in des Wortes doppelter Bedeutung fördern. Keine Frage, das Phänomen, um das es hier geht, hat eine weitreichende historische Dimension.
Bezogen auf die "Alltagskultur der Skinheads" ist es ein Hauptanliegen von Erika Funk-Hennigs, an Stelle einer pauschalisierenden Verurteilung erst einmal Verständnis gegenüber der Lebenswelt dieser rechtsorientierten Jugendlichen zu schaffen, von denen neuesten Analysen zufolge knapp 40 Prozent gewalttätig sind. Die Dekonstruktion von Individuen und das Schaffen von normativen Gruppenzwängen erfolgt mit der Hilfe ritualisierter Handlungsabläufe. Vor allen die rechtsradikalen Texte spielen hier eine zentrale Rolle für die situative Entwicklung von Gewaltbereitschaft, in Verbindung mit Alkohol und durch das gemeinsame Singen (zumindest im Refrain) können sie wie eine Droge wirken.
Eine milde Droge sind demgegenüber die volkstümliche, besser "volkstümelnde" Musik und der seit Mitte der 80er Jahre sich zunehmender Publikumsgunst erfreuende volkstümliche Schlager. In den Fernsehprogrammen wird er auf die besten Sendezeiten plaziert, 124 mal im Jahr 1991, mit immer noch steigender Tendenz. Hier wird - ganz anders als bei den Skinheads - Realitätsflucht betrieben: Liebe, Heimat, Natur, Religiosität gelten als echte, wahre Werte, sie sind, wie Mechthild von Schoenebeck an ausgewählten Beispielen belegt, im musikalischen "Heile-Welt-Idiom" ausgeterzt und in technischer Perfektion auch visuell inszeniert.
Als "Modellfall" für Formelhaftigkeit und Nicht-Individualität analysiert Hanns-Werner Heister den Erfolgsschlager "Patrona Bavariae" des Naabtal-Duos und interpretiert ihn im Sinne von reaktionärer politischer Besetzung und Indienstnahme. Hier, in diesem reaktionären Potential, liegt ein gemeinsamer Nenner von Skinhead-Musik und ihrem vermeintlichen Gegenpart, der volkstümelnden Musik. Mit einem grundlegenden Unterschied allerdings: An die Stelle von Aggression tritt Regression. Als mögliche Alternative stellt Heister den Wiener Liedermacher Rudi Burda vor, dessen unbekümmerte und gegen den Strich des Erwarteten gebürstete Aneignung der verschiedenen Stile traditioneller populärer Musik zum Nachdenken, Überdenken, Mitdenken auffordert. Schöner noch, so Burda, wäre das Handeln, aber dazu müsse "mehr erfunden werden als eine Handvoll Lieder".